OLG Schleswig: Neues zu angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen

Ein Urteil des OLG Schleswig vom 28.04.2022 (Az. 6 U 39/21) enthält einige interessante und sehr praxisrelevante Ausführungen zum Begriff des Geschäftsgeheimnisses und zu den Anforderungen an die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen.

Preiskalkulation in Excel-Tabelle ist werthaltiges Geheimnis

Gegenstand des Verfahrens ist eine Auseinandersetzung über eine „Teil-Kostenrechnung“ in Form einer Excel-Tabelle mit sieben Spalten. In dieser Tabelle sind die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Preiskalkulation, offenbar unterteilt nach verschiedenen Einzelaufträgen, enthalten. Ferner enthält die Tabelle die einzelnen Kostenpositionen der Preiskalkulation.

Das OLG führt aus, dass es sich bei dieser Zusammenstellung von Preisinformationen um ein Geschäftsgeheimnis handele, weil die Zusammenstellung wirtschaftlichen Wert habe. Sie erlaube Wettbewerbern einen Einblick in die Kalkulation und ermögliche die Feststellung, an welchen Einzelpositionen die Rentabilität des Geheimnisinhabers besonders gut oder besonders schwach ist. Unter Verwendung dieser Angaben könne ein Wettbewerber, so das Gericht, die Angebote des Geheimnisinhabers gezielt unterbieten.

Diese Bewertung ist nicht überraschend und führt auch die Linie der früheren Rechtsprechung zu § 17 UWG a.F. fort. Das Tatbestandsmerkmal des wirtschaftlichen Werts in § 2 Nr. 1 a) GeschGehG hat keine wirklich eigenständige Bedeutung und dient nur der Abgrenzung von rein wissenschaftlichen oder privaten Informationen. Ein wirtschaftlicher Wert liegt immer schon dann vor, wenn die Information auch nur einem einzelnen Wettbewerber im Verhältnis zum Geheimnisinhaber einen Vorteil verschaffen kann. Salopp könnte man auch sagen: Wenn es jemand mitnimmt, hat es wirtschaftlichen Wert.

Gefährdungslage bildet Kriterium für Angemessenheit von Schutzmaßnahmen

Weiter befasst sich der Senat mit der Frage, ob die Kostenrechnung den Vorgaben von § 2 Nr. 1 b) GeschGehG entsprechend Gegenstand von angemessenen Schutzmaßnahmen war. Hier ist der Hinweis interessant, dass die Angemessenheit von Schutzmaßnahmen im konkreten Fall unter Berücksichtigung der konkreten Gefährdungslage zu beurteilen sei.

In Bezug auf die Kostenrechnung habe nur eine geringe Gefährdungslage bestanden, weil nicht einmal die Existenz der Tabelle bekannt gewesen sei. Es habe auch nur ein Unternehmen, nämlich der andere Verfahrensbeteiligte, ein konkretes Interesse an der Kalkulation haben können. Anders sei dies bei technischen Know-how zu beurteilen. Sofern das Know-how für einen Wettbewerber interessant sein könne, müsse eher mit Betriebsspionage gerechnet werden.

Diese Überlegung dürfte eine gewisse Bedeutung für die Praxis haben. Während bei Gelegenheitstaten und bei rein wirtschaftlichen Informationen möglicherweise geringere Schutzmaßnahmen ausreichen, müsste der Inhaber von technischen Geschäftsgeheimnissen wohl regelmäßig strengere Maßnahmen ergreifen, weil grundsätzlich mit einem Interesse von Wettbewerbern zu rechnen sein kann. Im Übrigen ist auch diese Erwägung wohl nicht auf technisches Know-how beschränkt. Vielmehr dürfte auch eine Kundenliste regelmäßig von erheblicher Bedeutung für einen Wettbewerber sein.

Darüber hinaus überschneidet sich dieses Kriterium mit einem weiteren Aspekt, der anerkanntermaßen in der Beurteilung zu berücksichtigen ist: Auch wenn alle Geschäftsgeheimnisse Gegenstand von Schutzmaßnahmen sein müssen, erfordern besonders sensible Geheimnisse auch besonders hohe Schutzmaßnahmen. Dies ist keine Überraschung, sondern folgt schlicht aus dem Begriff der Angemessenheit. Unter anderem wurde bereits entschieden, dass sensible Informationen z.B. grundsätzlich verschlossen aufbewahrt werden müssen und die Räume abzuschließen sind (OLG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2020 – Schaumstoffsysteme; wir haben darüber schon hier berichtet).

Konkrete Erläuterung zur Auswahl beteiligter Personen erforderlich

Ein anderer wichtiger Aspekt bei der Beurteilung von Schutzmaßnahmen ist die Frage, welche Personen Zugriff auf die schutzbedürftigen Informationen haben. Mittlerweile ist unumstritten, dass der Kreis von Mitwissern möglichst zu beschränken ist und nur solche Personen innerhalb des Unternehmens Zugriff auf Informationen haben sollten, die diese für ihre Tätigkeit benötigen (sog. „need to know“-Prinzip).

Zu diesem Aspekt ergeben sich einige neue Erwägungen aus der Entscheidung des OLG Schleswig. Das Gericht nimmt – was in anderem Fällen nicht unbedingt üblich ist – eine sehr detaillierte Prüfung der Frage vor, welche konkreten Personen aus welchem Grund Zugriff zu den Informationen hatten. Dabei stellt das Gericht zugleich klar, dass der Geheimnisinhaber bei der Auswahl der beteiligten Personen eine gewisse Einschätzungsprärogative hat. Er muss den Kreis der Personen, die von der geschützten Information Kenntnis erlangen, zwar nachvollziehbar erläutern. Gleichwohl ist er nicht darauf beschränkt, einen Zugriff nur durch die Personen zu ermöglichen, die objektiv zwingend einen Zugriff benötigen. Vielmehr genügt es, wenn die Gewährung des Zugriffs aus der Perspektive des Geheimnisinhabers sinnvoll und hilfreich ist.

Diese Ausführungen könnten erhebliche Bedeutung erlangen. Die gerichtliche Überprüfung des Kreises der Personen, die im Einzelfall Kenntnis von bestimmten Information haben, bildet bislang eine Ausnahme. Geheimnisinhaber sollten damit rechnen, dass dieser Aspekt künftig von einem Prozessgegner hinterfragt wird. Entsprechend sorgfältig sollte der Inhaber auf die Auswahl achten. Auch wenn das Vorhandensein von Sachkunde bei dem Empfänger ausreicht, sollte der Kreis der Beteiligten nicht uferlos werden.

Bedeutung von Verschwiegenheitsklauseln

Schließlich erläutert der Senat, dass das – unterstellte – Fehlen ausdrücklicher Verschwiegenheitsklauseln in den Arbeitsverträgen nicht auf ein Fehlen angemessener Schutzmaßnahmen schließen lasse. Ferner sei auch eine mittelbare, aus der Gesellschafterstellung resultierende Verschwiegenheitsverpflichtung eines Geheimnisinhabers ausreichend.

Bei diesen Ausführungen ist große Vorsicht geboten. Die Bewertung des Senats ist aus unserer Sicht stark durch die Umstände des Einzelfalls geprägt und nicht verallgemeinerungsfähig. Unter anderem stützt sich das Gericht ausdrücklich darauf, dass keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass die Beteiligten im relevanten Zeitraum (2019) Zweifel an der Wirksamkeit der Verschwiegenheitsklauseln gehabt hätten. Aus diesem Grund könne die Verwendung der möglicherweise unzulässigen Klauseln kein Indiz für den nachlässigen Umgang mit den Informationen bilden.

Auch wenn diese Bewertung im konkreten Fall noch nachvollziehbar sein mag, bleibt eine sorgfältige Überprüfung aller Verschwiegenheitsverpflichtungen dringend geboten. Mittlerweile liegen eine Reihe von Entscheidungen vor, die zu weit gefasste Geheimhaltungsverpflichtungen für unwirksam halten (wir haben unter anderem hier zu den Risiken der Catch-all-Klausel berichtet). Wir weiterhin zum Schutz seiner Geheimnisse auf diese Klauseln vertraut und keine ordnungsgemäße Überprüfung vornimmt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob sein Schutz noch angemessen ist.

Fazit

Es bleibt spannend bei den Grundlagen des Geheimnisschutzes. Die vier Lektionen, die der Geheimnisblog aus dieser Entscheidung zieht, lauten:

  • Die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des wirtschaftlichen Werts eines Geschäftsgeheimnisses sind und bleiben minimal. Jeder kleine wirtschaftliche Vorteil für den Wettbewerber genügt.
  • Für die Beurteilung der angemessenen Schutzmaßnahmen ist auch zu fragen, ob eine konkrete Gefährdungslage besteht. Bei technischen Know-how kann diese Situation schnell eintreten.
  • Die Auswahl der Personen, die Zugriff auf ein Geschäftsgeheimnis haben, wird gerichtlich im Detail überprüft. Der Geheimnisinhaber muss nachvollziehbar erläutern können, welche sachlichen Kriterien in dazu bewogen haben, einer bestimmten Person das Geheimnis zu überlassen.
  • Die Unwirksamkeit einer Verschwiegenheitsklausel führt nicht zwingend zu der Annahme, dass keine angemessenen Schutzmaßnahmen vorhanden sind (Vorsicht – unseres Erachtens liegt hier die Betonung auf „nicht zwingend“ – im Regelfall dürfte dies ein Indiz sein)