OLG Nürnberg: Dringlichkeit ist dem Geheimnisschutz inhärent

Nach dem OLG Nürnberg ist zwar die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG im GeschGehG nicht analog anwendbar. Die Frage habe aber keine größere Bedeutung, weil die Dringlichkeit dem Geheimnisschutz inhärent sei. Zugleich enthält der Beschluss eine Warnung an Anwälte, die unter Hinweis auf ihre „Arbeitsüberlastung“ die Fristen verlängern wollen…

Hintergrund der Entscheidung

Die Verfügungsklägerin macht vor dem LG Nürnberg-Fürth einen Unterlassungsanspruch wegen der (angeblichen) Verletzung von Geschäftsgeheimnissen im Wege der einstweiligen Verfügung geltend. Die tatsächlichen Hintergründe lassen sich den verfügabren Informationen nur teilweise entnehmen: Bei dem (angeblichen) Geheimnis geht es offenbar um bestimmte Informationen zu Wärmeschutz, Feuchteschutz und Hitzeschutz einer Fertigfassade, die in insgesamt 2.947 Dateien enthalten sind. Das Landgericht hat den Antrag mit Urteil vom 21.03.2023 zurückgewiesen. Dabei hat das Gericht unter anderem festgestellt, dass das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses nicht glaubhaft gemacht sei. In der Berufungsinstanz beantragt der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin am 15.05.2023 eine Fristverlängerung mit der Erläuterung

Auf Grund von zahlreichen auswärtigen Terminen des Unterfertigten und alleinigen Sachbearbeiters der Angelegenheit hat sich eine Arbeitsüberlastung des Unterzeichners ergeben. Daher konnte eine Besprechung mit der Mandantschaft, die für die Fertigung einer sachgerechte Berufungsbegründung notwendig ist, innerhalb der Frist bisher noch nicht stattfinden.

Am letzten Tag der verlängerten Frist reicht der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsklägerin die Berufungsbegründung ein. Dieses Vorgehen findet das OLG Nürnberg nicht wirklich überzeugend. Aber der Reihe nach:

Keine Dringlichkeitsvermutung für § 6 GeschGehG…

Nach Ansicht des OLG Nürnberg kommt eine analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG auf Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke sei nicht erkennbar, da der Gesetzgeber ausdrücklich von einer Anwendung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen ausgegangen sei. Zudem habe der Gesetzgeber in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Verabschiedung des GeschGehG eine Sonderregelung zur Dringlichkeit im Markenrecht verankert (§ 140 Abs. 3 Marken). Daraus folge, dass der Gesetzgeber im GeschGehG bewusst von spezifischen Regelungen absehen wollte (ähnlich auch schon OLG München, GRUR-RR 2019, 443 Rn. 14 – Medizinisches Fachpersonal).

… aber inhärente Dringlichkeit

Letztlich, so der Senat, sei eine Dringlichkeitsvermutung auch nicht erforderlich. Bei der für den Erlass einer Unterlassungsverfügung erforderlichen Abwägung überwiege regelmäßig das Geheimhaltungsinteresse des Inhabers. Denn, so das OLG, „ein Geschäftsgeheimnis wird grundsätzlich vor allem dadurch geschützt, dass es Dritten nicht zugänglich gemacht wird, weil es sonst den Charakter eines Geheimnisses verliert“. Vor diesem Hintergrund sei die Gewährung der Verbotsverfügung die regelmäßige Folge einer eingetretenen Verletzung. Insgesamt sei die Dringlichkeit dem Geheimnisschutz inhärent (OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 6. Juli 2023, 3 U 889/23).

Aus unserer Sicht eine überzeugende Wertung. Der Hinweis dürfte so zu verstehen sein, dass man sich als Angreifer längere Ausführungen zur Dringlichkeit sparen kann. Sie ist nun einmal – weit mehr als in typischen UWG- oder Markensachen – offensichtlich.

Keine Fristverlängerung, auch nicht bei „Arbeitsüberlastung“

Trotzdem unterläuft dem Prozessbevollmächtigen des Prozessbevollmächtigten der geradezu klassische Fehler: er beantragt eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dies wertet der Senat (natürlich) als Hinweis darauf, dass der Partei „die Sache nicht so eilig ist“, also als Selbstwiderlegung der Dringlichkeit. Dabei hilft es dem Verfügungskläger auch nicht, dass sein Anwalt auf die eigene Arbeitsüberlastung hingewiesen hat. Diese Verzögerung ist der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Ein Rechtsanwalt, so das OLG Nürnberg, „hat Verfügungssachen vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen.“ In dem Beschluss, mit dem der Senat die Berufung dann – wie in dem Hinweis angekündigt – zurückweist, finden sich noch weitere Erläuterungen (OLG Nürnberg, Beschluss v. 21.07.2023 – 3 U 889/23, hier).

Was denn sonst? Dies ist ja nun auch wirklich keine Besonderheit des GeschGehG, sondern gilt im gesamten „Grünen Bereich“ und auch im allgemeinen Zivilrecht – wie auch das OLG Nürnberg dem dortigen arbeitsüberlasteten Kollegen noch ausdrücklich in den Beschluss schreibt. Es handelt sich ferner auch nicht um eine bayerische Besonderheit, wie ein kurzer Blick in die Datenbanken zeigt (vgl. KG, Beschluss vom 11.05.2021 – 8 U 1153/20: Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch Berufungsbegründungsfristverlängerung).

Es ist wirklich einfach: Ausschöpfen der Frist ja, Verlängerung nein. Zur grundsätzlich unbedenklichen Zulässigkeit der Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist hatte das OLG Nürnberg interessanterweise in einer anderen aktuellen Entscheidung detailliert Stellung genommen. In einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG (unverlangter Telefonanruf) hatte der Verfügungsbeklagte das Ausschöpfen der Berufungsbegründungsfrist (nicht die Verlängerung!) durch den dortigen Kläger als dringlichkeitsschädlich gerügt. Dazu der Senat:

Die Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist ist den Berufungsführern gesetzlich zugestanden; im Hinblick auf die Länge dieser Fristen differenziert das Gesetz – was man rechtspolitisch kritisieren können mag – nicht zwischen Hauptsache- und Eilverfahren. Der Gesetzgeber gibt damit zu erkennen, dass er die Zeit von insgesamt zwei Monaten für ausreichend, aber auch erforderlich hält, um das Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen, was sich mittelbar auch auf die Frage der Dringlichkeitsschädlichkeit auswirkt. Solange die Partei nur die ihr gesetzlich eingeräumten Fristen wahrnimmt, dürfen aus dem damit in Zusammenhang stehenden (zulässigen) prozessualen Verhalten auch aus Rechtssicherheitsgründen grundsätzlich keine Rückschlüsse für die Frage gezogen werden, wie eilig es ihr damit ist, ihr Ziel im einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen.

OLG Nürnberg, Endurt. v. 24.10.2023 – 3 U 965/23 (hier)

Fazit: Inhärente Dringlichkeit, keine Fristverlängerung, gute Vorbereitung

Insgesamt also mehrere klare Ansagen aus Nürnberg: In der Praxis ergibt sich kein Problem beim Nachweis der Dringlichkeit für eine Verbotsverfügung bei der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, weil die Dringlichkeit dem Geheimnisschutz inhärent ist. Trödeln darf man aber nicht, erst keinen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stellen.

Schließlich lässt der Zurückweisungsbeschluss vermuten, dass der Antrag von Anfang an nicht optimal vorbereitet war. Andernfalls hätte der Verfügungskläger wohl nicht umfangreich darauf verweisen müssen, dass er für die Berufung 2.947 Dateien auswerten und kommentieren musste, um die Fristverlängerung zu rechtfertigen. Gerade in Verfügungsverfahren nach GeschGehG ist eine akribische Vorbereitung geboten (schon allein zum Erlass der regelmäßig zu beantragenden Geheimhaltungsanordnung) – die Auswertung der 2.947 Dateien hätte ggf. auch vor Antragstellung erfolgen können oder müssen (wenn sie denn überhaupt wirklich erforderlich war). Wenn der Verfügungsantrag daran scheitert, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses nicht glaubhaft machen kann, dann ist da möglicherweise etwas im Vorfeld gründlich schiefgelaufen. Unterbleibt eine gute Vorbereitung und Beratung durch erfahrene und spezialisierte Anwälte, dann kann auch das Gericht nicht helfen.