Den ersten Jahreswechsel des Geheimnisblogs nutzen wir zu einem Rückblick auf unser Lieblingsthema: Wir ziehen ein Zwischenfazit zum Umgang der Gerichte mit den angemessenen Schutzmaßnahmen i.S.d. § 2 Nr. 1 c) GeschGehG und beleuchten die kritische und noch ungeklärte Frage, wann die Schutzmaßnahmen in der Vergangenheit vorgelegen haben müssen.
Zwischenfait zu angemessenen Schutzmaßnahmen
Die Rechtsprechung zu den angemessenen Schutzmaßnahmen hat jedenfalls aus unserer subjektiven Sicht bislang keine völlig überraschenden Entscheidungen hervorgebracht. Wir haben die wesentlichen Urteile und Anforderungen bereits hier im Geheimnisblog zusammengefasst. Insgesamt zeigt sich, dass die Gerichte zumindest bislang durchgängig vernünftige Kriterien anwenden und keine überzogenen Forderungen an die Schutzmaßnahmen stellen. Eine gute und wichtige Klarstellung hat das OLG Düsseldorf in der Entscheidung „Zentrifugentrommel“ getroffen:
„Welche Geheimhaltungsmaßnahmen im Einzelfall im Sinne des § 2 Nr. 1 c GeschGehG angemessen sind, bestimmt sich anhand eines objektiven Maßstabs, wobei im Blick zu halten ist, dass das Gesetz keinen „optimalen Schutz“ oder „extreme Sicherheit“ verlangt“ (OLG Düsseldorf, U.v. 11.03.2021, Az.: 15 U 6/20, Rz. 64).
Daraus ergeben sich zwei zentrale Erwägungen: Zum einen bemisst sich die Angemessenheit nicht nach den subjektiven Vorstellungen einer Partei. Vielmehr ist ein objektiver Maßstab anzuwenden. Dies bedeutet allerdings, dass bei besonders wichtigen Geheimnissen schärfere Anforderungen angemessen sein können als jene, die bislang Gegenstand der veröffentlichten Urteile sind. In der Praxis wird der Geheimnisinhaber schlecht damit argumentieren können, dass der Verlust seiner Formel zum sofortigen Ruin seines Unternehmens führt, wenn er nicht zugleich erklären kann, dass er für den Schutz dieses einen überragend wichtigen Geheimnisses auch überragend hohe Schutzmaßnahme ergriffen hat.
Zum anderen stellt der Senat klar, dass die Schutzmaßnahmen keine extreme Sicherheit erfordert. Dies gilt auch bei wichtigen Geheimnissen. Hier sind zwar höhere Anforderungen zu stellen. Auch in diesem Fall ist es aber nicht erforderlich, dass Unternehmen in Fort Knox zu verwandeln, um den gesetzlichen Anforderungen zu genügen. Im Übrigen gestattet auch der Umstand, dass auf irgendwelchen wegen ein Geheimnisverlust eingetreten ist, nicht den Rückschluss darauf, dass die Schutzmaßnahmen unangemessen waren.
Drei Warnhinweise zu Schutzmaßnahmen
Bei genauer Lektüre der Entscheidungen sind wir auf einige spezifische Hinweise gestoßen, die wiederum aus unserer subjektiven Sicht jeder Geheimnisinhaber als Warnung verstehen und jeder Prozessanwalt kennen sollte:
- Das Gestatten der Speicherung von Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern ist „äußerst kritisch“ und kann daher den Vorwurf nicht angemessener Schutzmaßnahmen begründen (OLG Stuttgart, U.v. 19.11.2020, Az. 2 U 575/19 Rz. 387 – Schaumstoffsysteme)
- Sensible Geheimnisse müssen innerhalb des Unternehmens zwingend verschlossen aufbewahrt werden (aaO, Rz. 388)
- Das Ausbleiben von Maßnahmen nach erkanntem unerlaubten Zugriff auf Geschäftsgeheimnisse bildet ein (deutliches) Indiz für unzureichende Schutzmaßnahmen (OLG Hamm, U.v. 15.09.2020, Az.: 4 U 177/19 Rz. 463 ff. – Stopfaggregate).
Ab wann müssen Schutzmaßnahmen vorhanden gewesen sein?
Ein weitere wichtige Frage ist bislang nur teilweise geklärt: nach Ansicht der Oberlandesgerichte Stuttgart und Düsseldorf müssen die angemessenen Schutzmaßnahmen erst seit Inkrafttreten des GeschGehG vorhanden sein. Sofern die Schutzmaßnahmen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (26.04.2019) unzureichend waren, ist dieser Mangel außer Betracht zu lassen. Eine andere Sichtweise, so die Gerichte, wäre eine unzulässige unechte Rückwirkung (OLG Stuttgart, U.v. 19.11.2020, 2 U 575/19 Rz. 363-365 – Schaumstoffsysteme; OLG Düsseldorf, U.v. 11.03.2021, Az.: 15 U 6/20 Rz. 65 – Zentrifugentrommel).
Eine andere Betrachtung scheint das OLG Hamm vorzunehmen. Nach Ansicht des dortigen Senates können bei Beurteilung eines Verletzungsvorwurfs auf Grundlage des GeschGehG auch die vor dessen Inkrafttreten angewandten Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen sein. Ein Mangel an angemessenen Schutzmaßnahmen kann einen Anspruch ausschließen, wobei der Senat Einzelheiten noch nicht abschließend entscheiden musste (OLG Hamm, U.v. 15.9.2020, Az.: 4 U 177/19 – Stopfaggregate, Rz. 430).
Völlig ungeklärt ist die Frage, ob das Ende der Umsetzungsfrist der Geheimnisschutzrichtlinie am 09.06.2018 eine zeitliche Zäsur bildet. Die genannten Entscheidungen des OLG Stuttgart und des OLG Düsseldorf mussten sich mit diesem Aspekt nicht befassen, weil die Tathandlungen jeweils vor diesem Datum lagen und eine weitere Differenzierung nicht erforderlich war. Nach unserer Auffassung spricht einiges dafür, dass ein Geheimnisinhaber sich nur auf den Schutz des GeschGehG berufen kann, wenn er ab dem 09.06.2018 angemessene Schutzmaßnahmen ergriffen hat. Auch wenn sich ein Verletzer nicht unmittelbar auf die fehlende Umsetzung der Richtlinie berufen kann, besteht für das Gericht zumindest die Möglichkeit, die (hinreichend bestimmten) Vorgaben der Richtlinie anzuwenden. Es wäre kaum nachvollziehbar, wenn ein Gericht für einen Sachverhalt nach Ablauf der Umsetzungsfrist seine Entscheidung darauf stützt, dass der trotz Fehlens jeglicher Schutznaßnahmen ein Geschäftsgeheimnis nach § 17 UWG a.F. vorliegt, weil der Geheimhaltungswille zu vermuten ist. Gerade diese Vermutung ist nach Unionsrecht widerlegt. Es bleibt also spannend.
Damit verabschiedet sich der Geheimnisblog für dieses Jahr. Wir freuen uns über das Interesse unserer Besucher und wünschen einen guten Start in das Jahr 2022!