OLG Karlsruhe: NDA ersetzt keine Geheimhaltungsanordnung

Nach Ansicht des LG Mannheim, die in leicht abgeschwächter Form auch das OLG Düsseldorf vertritt, sollte das Rechtsschutzbedürfnis für eine Geheimhaltungsanordnung nach § 145a PatG/§ 16 GeschGehG fehlen, wenn die Parteien in Bezug auf die relevanten Informationen bereits einen NDA geschlossen haben. Dieser These ist nun das OLG Karlsruhe mit einem Beschluss vom 04.10.2023 (6 U 122/22) mit sehr klaren Worten entgegengetreten.

Sachverhalt

Im Rahmen eines Patentrechtsstreits vor dem LG Mannheim haben beide Parteien beantragt, bestimmte Informationen zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand als geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 16 GeschGehG einzustufen. Allerdings hatten die Parteien in Bezug auf diese Information bereits zuvor eine Geheimhaltungsvereinbarung (NDA) geschlossen. Das LG Mannheim lehnt jegliche Geheimhaltungsmaßnahmen in Bezug auf Informationen ab, die auch von dem NDA erfasst sind.

Erwägungen des Landgerichts Mannheim

Im Kern stellt das Landgericht eine beachtliche These auf und erläutert:

„Besteht zwischen den Parteien ein NDA zum Schutze der Information, bedarf es grundsätzlich keiner gerichtlichen Schutzanordnung, womit einem entsprechenden Parteiantrag in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis fehlt“

Ironischerweise beginnt das Gericht seine Ausführungen mit dem „chilling effect“. Gemeint ist das Phänomen, dass Geschäftsgeheimnisinhaber in Zivilverfahren regelmäßig dazu gezwungen sind, ihre Geheimnisse im Prozess offenzulegen und aus diesem Grund vor einer Durchsetzung zurückschrecken. Das LG Mannheim führt zutreffend aus:

„Ohne den verfahrensrechtlichen Schutz nach §§ 16 ff. GeschGehG sieht der Geheimnisinhaber (…) möglicherweise von einer Rechtsverfolgung ab, weil er um den Verlust der vertraulichen Informationen fürchtet“

Dabei berücksichtigt das Gericht allerdings allein die Gefahr einer Offenbarung durch die Gegenpartei. Nach der Auffassung des Gerichts zielen die §§ 16 ff. GeschGehG „primär“ auf den Schutz der Informationen vor einer Kenntniserlangung durch die Gegenseite ab und lassen die Gefahr einer Kenntniserlangung durch Dritte außen vor. Als Begründung führt das Gericht ein systematisches Argument an: Nach § 20 II GeschGehG sei nur die Gegenseite anzuhören und daher beschränke sich das Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich einer Geheimhaltungsanordnung auch nur auf diese. Ferner erläutert das Landgericht auch, dass sich aus unionsrechtlichen Vorgaben nichts anderes ergebe. Für den Bereich des Patentrechts habe der nationale Gesetzgeber die Vorgaben der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie „jedenfalls überschießend umgesetzt“. Die Vorgaben von Art. 9 RL fänden nur für Verfahren Anwendung, die den rechtswidrigen Erwerb oder Nutzung von Geschäftsgeheimnissen zum Gegenstand hätten (LG Mannheim, Beschluss vom 14.04.2023, 7 O 91/22 – Geheimnisschutzanordnung II).

Kritische Sichtweise auch des OLG Düsseldorf

Einige Monate zuvor hatte sich auch schon das OLG Düsseldorf in einem ähnlichen Sinne geäußert. Zunächst stellt der Senat klar, dass der bloße Umstand eine Einbringung von Geschäftsgeheimnissen in das Verfahren auf keinen Fall eine Verpflichtung des Gerichts zum Erlass einer Geheimhaltungsanordnung begründe (schon dies kann man, with all due respect, auch deutlich anders sehen). Jedenfalls, so der Düsseldorfer Patentsenat weiter, spreche das Bestehen eines vertragsstrafenbewehrten NDA, von dem sich die Gegenseite nicht losgesagt habe, im Regelfall gegen die Erforderlichkeit einer gleichlaufenden gerichtlichen Geheimhaltungsanordnung. Ferner bestehe regelmäßig kein Anlass dazu, den Zugang zu bestimmten Informationen nach § 19 GeschGehG auf bestimmte Personen zu beschränken, wenn dies im NDA nicht ebenfalls vorgesehen sei. Auf eine mögliche Gefährdung des Geheimnisses durch Dritte geht der Senat nicht ein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.11.2022, 2 U 102/02).

Klarstellung des OLG Karlsruhe und Bewertung

Für das OLG Karlsruhe besteht kein Zweifel daran, dass der Schutzzweck der §§ 16 ff. GeschGehG über den Schutz der Geheimnisse vor dem jeweiligen Prozessgegner hinausgeht. Der Senat verweist ausdrücklich auf die Auswirkungen der Anordnung auf die weiteren Verfahrensbeteiligten und erläutert

„Unabhängig davon, ob das Gesetz wertungsmäßig „primär“ die Gefahr einer Offenlegung durch den Prozessgegner im Auge hat, gehört es jedenfalls (auch) zu den nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung bezweckten Rechtsfolgen, dass der Geheimnisinhaber mit einer von ihm zu beantragenden Einstufung erreichen kann, dass die Gefahr einer Offenlegung durch sonstige Personen in der nach §16 Abs. 2, 3, §§ 17, 18 GeschGehG vorgesehenen Weise gemindert wird.“

Eine abweichende Bewertung, so dieser Senat, lasse sich nicht auf die eingeschränkte Anhörung (§ 20 II GeschGehG) noch auf andere Aspekte stützen und würde den (klaren) Willen des Gesetzgebers missachten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.10.2023, 6 U 122/22).

Die Auffassung des OLG Karlsruhe ist richtig und überzeugend. Sowohl das OLG Düsseldorf wie auch – noch deutlicher – das Landgericht Mannheim übersehen bei ihren Erwägungen, dass der sowohl der deutsche wie auch der Unionsgesetzgeber den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Gerichtsverfahren nicht nur im Verhältnis zum jeweiligen Prozessgegner sicherstellen wollten. Der formale Hinweis des LG Mannheim darauf, dass für den Bereich des Patentrechts eine überschießende Umsetzung erfolgt sei, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Vorgaben in Art. 9 der Richtlinie 2016/943 eindeutig auf alle Verfahrensbeteiligten Bezug nehmen. Es würde jeder Systematik widersprechen, den Anwendungsbereich von Geheimhaltungsmaßnahmen für Geschäftsgeheimnisstreitsachen anders zu ziehen als den Schutzbereich identischer Maßnahmen für Patentstreitsachen.

Unberücksichtigt bleibt in der Betrachtung des LG Mannheim und des OLG Düsseldorf ferner das Problem, dass bei NDAs – wie bei jeder vertraglichen Vereinbarung – nachträglich der Einwand eines fehlenden wirksamen Vertragsschlusses oder Nichtigkeitsgründe erhoben werden können. Ein NDA hat also auch zwischen den Parteien von vornherein nicht dasselbe Schutzniveau wie eine gerichtliche Geheimhaltungsanordnung. Schließlich besteht der Vorteil, dass die Regelung der Anordnung im Rahmen eines Ordnungsmittelverfahrens effizienter durchgesetzt werden können als die vertraglichen Regelungen, bei denen ein langer Streit um die Vertragsstrafe erforderlich ist. Auch aus diesen Gründen besteht richtigerweise unabhängig vom Vorliegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung stets ein Rechtsschutzbedürfnisfür eine Geheimhaltungsanordnung. Ein solches Verständnis zeigt sich auch in der Gesetzesbegründung, wonach die Geheimhaltungsanordnungen unabhängig von anderen Vertraulichkeitsverpflichtungen beurteilt werden sollen (vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 35).

Zuzustimmen ist dem OLG Düsseldorf allenfalls insoweit, als ein Rechtsschutzbedürfnis für konkrete inhaltliche Regelungen in der Geheimhaltungsanordnung fehlen kann, wenn die Parteien zuvor gegenteilige Regelung in einem NDA getroffen haben. Sofern ein NDA also eine zeitliche Befristung enthält oder die Weitergabe von Informationen innerhalb des empfangenden Konzerns gestattet, muss ein Antragsteller substantiiert erklären, warum eine Geheimhaltungsanordnung inhaltlich über diese Regelungen hinausgehen soll. Zumeist dürfte in einem solchen Fall eine inhaltliche Beschränkung der Geheimhaltungsanordnung geboten sein.

Fazit

Ein NDA bietet im Rahmen eines Gerichtsverfahrens keinen Schutz, der dem einer gerichtlichen Geheimhaltungsanordnung nach den §§ 16ff. GeschGehG (auch iVm § 145a PatG) gleichkommt. Dies gilt schon im Hinblick auf das höhere Maß an Sicherheit, dass aus der Anordnung resultiert, erst recht (und offensichtlich) aber hinsichtlich des Kreises der Geheimhaltungspflichtigen. Daher besteht regelmäßig ein Rechtschutzbedürfnis für den Erlass einer Geheimhaltungsbedürfnis, wenn eine Partei eine Information in das Verfahren einbringt und einen Antrag nach den §§ 16ff. GeschGehG stellt.