AG Frankfurt: Geheimnisschutz von Prüfungsfragen (?)

Das AG Frankfurt musste über den Anspruch auf Herausgabe einer kostenfreien Kopie der Ergebnisse eines Deutschtests entscheiden. Diese Herausgabeansprüche sind neuerdings auf datenschutzrechtlicher Basis möglich. Das Gericht hat die Klage eine entsprechende Klage jedoch unter anderem mit dem Argument abgewiesen, dass es sich bei den Prüfungsfragen um ein Geschäftsgeheimnis des Prüfungsanbieters handele. Das mussten wir uns einmal genauer ansehen.

Hintergrund

Nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 15 Abs. 3 DSGVO können Teilnehmer einer Prüfung eine kostenlose Kopie ihrer Prüfungsleistung verlangen, weil letztere ein personenbezogenes Datum bildet.

Spannend wird das Thema für uns im Geheimnisblog, weil das AG Frankfurt eine Klage auf Erstellung einer solchen Kopie (auch) unter Hinweis auf ein bestehendes Geschäftsgeheimnis abgewiesen hat. Was war genau passiert?

Sachverhalt

Die Klägerin ist bei einem von der Beklagten angebotenen Sprachtest für das Niveau Deutsch B2 durchgefallen. Nun macht die Klägerin einen Anspruch auf Zurverfügungstellung einer kostenfreien Kopie ihrer Prüfungsarbeit nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO geltend. Die Beklagte erhob gegen den Anspruch datenschutzrechtliche Einwände. Außerdem beruft sie sich auf ein entgegenstehendes Geheimhaltungsinteresse und verweist auf das GeschGehG. Im Verfahren hat die Beklagte vorgetragen, dass die „Sprachtests, die auch in Einbürgerungsverfahren Verwendung finden, wirtschaftliche Investitionen in erheblicher Höhe erforderten und zur Gewährleistung der Integrität und Verlässlichkeit der Ergebnisse der Geheimhaltung bedürften“. Detailliertere Angaben sind den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen.

Das Landgericht hält die Klage für zulässig, aber unbegründet, und wies die Klage mit Urteil vom 14. März 2023 zurück.

Entscheidung

Dem Anspruch der Klägerin steht aus Sicht des Amtsgerichts ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten entgegen. Das Gericht bejaht, dass es sich bei den Prüfungsfragen um ein Geschäftsgeheimnis handelt und führt aus:

Insbesondere aus dem mit Anl. B4 vorgelegten Handbuch zur Entwicklung und Durchführung von Sprachtests ergibt sich ein wissenschaftlich fundiertes und aufwändiges Verfahren unter Beteiligung einer Vielzahl von Personen, womit auch ein erheblicher wirtschaftlicher Aufwand notwendig einhergeht. Die Prüfungsfragen stellen danach auch in rechtlicher Hinsicht Geschäftsgeheimnisse i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG und urheberrechtlich geschützte Sprachwerke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dar.

Im Weiteren erläutert das Gericht, dass die Veröffentlichung einen Wettbewerbsnachteil für die Beklagte bedeuten könnte, weil diese ggf. nicht mehr als „hinreichend“ für die Prüfung angesehen werden. Aufgrund der Möglichkeit, von den Prüfungsfragen Rückschlüsse auf die Antworten zu ziehen, sollen diese auch der Zugangsbeschränkung unterliegen. Gegen die Annahme spreche auch nicht, dass die Prüflinge die Prüfungen bei der Beklagten einsehen könnten (Az.: 31 C 2043/22 (78), Volltext).

Bewertung – und einige vorsichtige Hinweise zu den Grundlagen des GeschGehG

Es ist ja immer wohlfeil, über Urteile zu meckern, wenn man die Schriftsätze nicht kennt. Trotzdem hat man bei der Durchsicht sehr stark den Eindruck, dass ein Blick ins Gesetz hier bei der Rechtsfindung erheblich geholfen hätte. Für eine kurze Übung und Erinnerung eignet sich dies hervorragend:

Der Begriff des Geschäftsgeheimnisses ist in § 2 Nr. 1 GeschGehG legaldefiniert. Wenn wir diese Definition betrachten und einmal mit den Ausführungen des Urteils abgleichen, dann ergeben sich doch gewisse Lücken:

Ein Geschäftsgeheimnis ist eine Information

a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und

Hier haben wir also zwei Merkmale: Die Information muss zunächst einmal (erstes Merkmal) im weiteren Sinne überhaupt „geheim“ sein, darf also in den genannten Kreisen nicht allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich sein. Außerdem (zweites Merkmal) muss die Information aufgrund ihres geheimen Charakters einen wirtschaftlichen Wert haben.

Das Gericht bejaht zwar das zweite Merkmal, weil nach dem Ergebnis seiner Überprüfung feststeht, dass die Prüfungsfragen auf einem wissenschaftlich fundierten, aufwändigen Verfahren beruhen, mit dem ein erheblicher wirtschaftlicher Aufwand verbunden sei. Diese Feststellung dürfte auch nicht zu beanstanden sein, zumal nach allgemeiner Ansicht nur geringe Anforderungen zu stellen sind.

Völlig unbeachtet bleibt aber das erste Merkmal. Nach dem Sachverhalt handelt es sich um die Prüfungsfragen zu einem Deutschtest des Niveaus B2. Die Prüfungsfragen werden nicht individuell für jeden Prüfling erstellt. Vielmehr erhält eine unbekannte Vielzahl von Kandidaten dieselben Fragen. Es scheint auch naheliegend, dass die Prüfungsfragen wiederholt verwendet werden. Vor diesem Hintergrund drängt es sich geradezu auf, dass das Merkmal der allgemeinen Bekanntheit näher zu prüfen ist. Außerdem hatte die Klägerin nach der Feststellung des Gerichts die Möglichkeit, die vermeintlichen Geheimnisse in den Räumlichkeiten der Prüfungseinrichtungen einzusehen. Auch dies ist kaum widerspruchsfrei zu erklären. Insbesondere dürfte es ausreichend gewesen sein, dass die Klägerin das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses mit Nichtwissen bestritten hat. Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen trägt derjenige, der sich auf ein Geheimnis beruft (BeckOK GeschGehG/Fuhlrott GeschGehG § 2 Rn. 66; hier finden Sie unseren ausführlichen Beitrag zu den Anforderungen im Verfahren). Da die Verwendung in der Prüfung unstreitig war, war das (weitere) Bestreiten des Geheimnischarakters der Prüfungsfragen mit Nichtwissen ausreichend und das Gericht hätte sich mit dieser Frage näher befassen müssen. An dieser Stelle hat die Entscheidung also eine erste Lücke.

b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist

Das Erfordernis „angemessener Schutzmaßnahmen“ ist die zentrale Neuerung des Geheimnisrechts. Ganz neu ist dieses Merkmal nicht – immerhin ist das Gesetz seit dem 26. April 2019 in Kraft. Bei Verkündung der Entscheidung waren dies knapp vier Jahre. Gleichwohl findet sich in der Entscheidung zu diesem Tatbestandsmerkmal nichts.

Wir haben uns mit den inhaltlichen Anforderungen bereits mehrfach befasst, insbesondere mit der umfassenden Übersicht zur Rechtsprechung (hier) und zuletzt mit einer praxisrelevanten Entscheidung des OLG Schleswig (hier).

Den Urteilsgründen des AG Frankfurt ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Beklagte überhaupt irgendetwas zu Geheimhaltungsmaßnahmen vorgetragen hat. In diesem Fall hätte es ausgereicht, dass die Klägerin – wie geschehen – das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses mit Nichtwissen bestritten hat. Die Darlegung-und Beweislast auch für angemessene Schutzmaßnahmen trägt der Geheimnisinhaber. Wenn die Beklagte irgendetwas zu Geheimhaltungsmaßnahmen vorgetragen hätte, wäre zumindest zu klären gewesen, ob der unstreitig mögliche Zugang zu den Prüfungsfragen in den Räumlichkeiten der Beklagten die angemessenen Schutzmaßnahmen aushebelt. Es spricht vieles dafür, dass das AG Frankfurt hier ein Tatbestandsmerkmal übersehen hat.

c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht;

Mit diesem Merkmal hat sich das Gericht durchaus ausführlich befasst. An dieser Stelle berücksichtigt das Amtsgericht allerdings nicht, dass das Merkmal für normale Geheimschutzfälle kaum praktische Bedeutung hat. Allenfalls diskutieren könnte man über die Frage, ob ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 2 Nr. 1 fehlt, wenn das Geheimnis eine Information über Rechtsverletzungen bildet. Dieser Aspekt war im entschiedenen Fall aber nicht von Bedeutung. Außerhalb der genannten Streitfrage hat das Merkmal keine eigenständige Bedeutung, sodass das Gericht sich die Befassung mit diesem Aspekt hätte ersparen können.

Fazit

Über den Zugang zu Prüfungsfragen kann man datenschutzrechtlich streiten. Aber ein Fall für das GeschGehG ist das wohl nicht. Jedenfalls im konkreten Fall ist nicht wirklich ersichtlich, wie man Prüfungsfragen (nach erfolgter Nutzung der Fragen in einer Prüfung) als Geschäftsgeheimnis deklarieren kann. Ganz so einfach ist es mit dem Geheimnisschutz dann doch nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass gegen die Entscheidung Berufung eingelegt wurde.