Rechtsprechung zu angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen

Bei der Frage, welche konkreten Anforderungen an „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ i.S.d. § 2 Nr. 1 lit. b) GeschGehG zu stellen sind, besteht für Geheimnisinhaber weiterhin Rechtsunsicherheit. Die Auslegung des Begriffs der „Angemessenheit“ beruht derzeit noch auf wenigen Entscheidungen.

Aus der Richtlinien- und Gesetzesbegründung ist bekannt, dass die Angemessenheit von Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren zu beurteilen ist:

  • Wert des Geschäftsgeheimnisses
  • Entwicklungskosten
  • Natur der Information
  • Bedeutung der Information für das Unternehmen
  • Größe des Unternehmens
  • übliche Geheimhaltungsmaßnahmen in dem Unternehmen
  • Art der Kennzeichnung der Information
  • vertragliche Regelungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern.

Was dies konkret heißt, muss letztlich im Einzelfall durch die Gerichte entschieden werden. Den aktuellen Zwischenstand haben wir zusammengefasst.

Entscheidungspraxis in Deutschland

Als angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen haben deutsche Gerichte angesehen:

  • IT-Richtlinien mit der Vorgabe, dass das E-Mailsystem ausschließlich zum gewerblichen Zweck innerhalb des Arbeitsverhältnisses genutzt werden darf (LAG Baden-Württemberg, 4 SaGa 1/21)
  • Verbot unternehmensinterne Datenbestände in jeglicher analogen oder digitalen Form aus dem Unternehmensgebäude zu entfernen (LAG Baden-Württemberg, 4 SaGa 1/21)
  • Schaffung eines Unternehmenscompliancesystems mit Bestimmung klarer Prüfungsverantwortung (LAG Baden-Württemberg, 4 SaGa 1/21)
  • Weitergabe von Informationen nur an Personen, die diese benötigen („need-to-know“) und die wissen, dass sie einer Verschwiegenheitsvereinbarung unterliegen (LAG Baden-Württemberg, 4 SaGa 1/21; OLG Stuttgart, Az.: 2 U 575/19, Schaumstoffsysteme)
  • Verbot des Speicherns von Daten auf privaten Datenträgern ohne Passwortschutz (OLG Stuttgart, Az.: 2 U 575/19, Schaumstoffsysteme)
  • Sicherung von Papierdokumenten gegen den Zugriff unbefugter Personen durch Verschluss der Dokumente oder des Raumes (OLG Stuttgart, Az.: 2 U 575/19, Schaumstoffsysteme)
  • Gebäudeschutz durch Türschließung mit Anmeldung über eine Sprechanlage (OLG Düsseldorf, Az.: 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 [nicht öffentlich zugänglich])
  • Verschwiegenheitsvereinbarung mit Wirkung für nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Herausgabepflicht aller betrieblicher Unterlagen, Datenträger, Abschriften etc. bei dem Unternehmensaustritt (OLG Düsseldorf, Az.: 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 [nicht öffentlich zugänglich]; zur Verschwiegenheitsvereinbarung: LAG Baden-Württemberg, 4 SaGa 1/21)
  • Arbeitsanweisungen zum Umgang mit firmeneigenen Smartphones, wie ein Verbot zur Installation von Apps ohne Zustimmung des Administrators, verpflichtender Passwortschutz, Sim-Kartensperre und Datenlöschung nach WIPE Funktion bei Verlust des Smartphone (OLG Düsseldorf, Az.: 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 [nicht öffentlich zugänglich])
  • Sicherung digitaler Daten via Firewall, gesicherter VPN-Leitung und Log-In-Funktion mit individuellem Benutzernamen und Passwort, Zuschneiden von Freigaben und Zugriffsrechten auf Daten (OLG Düsseldorf, Az.: 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 [nicht öffentlich zugänglich])
  • Kenntlichmachung der Schutzbedürftigkeit durch Schriftzug auf den Daten auch in analoger Form (OLG Düsseldorf, Az.: 15 U 6/20, GRUR-RS 2021, 17483 [nicht öffentlich zugänglich])
  • Überprüfung vorhandener Maßnahmen bei Verdacht unberechtigter Mitnahme, konsequente Verfolgung von Verstößen und Anpassung der entsprechenden Systeme (OLG Hamm, 4 U 177/19 – nicht rechtskräftig)

Entscheidungspraxis im Ausland

Informativ ist auch eine Berücksichtigung ausländischer Entscheidungen, welche die Fragestellung teils bereits zu einem früheren Zeitpunkt behandelten. Dies liegt zum einen darin begründet, dass die Einhaltung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen bereits zuvor Voraussetzung für die Annahme eines Geschäftsgeheimnisses war. Zum anderen erfolgte – im Falle von EU-Mitgliedstaaten – die Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie zu einem früheren Zeitpunkt.

Praxistipp

Zum aktuellen Zeitpunkt bedarf es weiterhin einer gewissen Vorsicht bei der Beurteilung der eigenen Geheimhaltungsmaßnahmen. Allerdings kann eine Betrachtung der Gesamtumstände durchaus dazu führen, dass einfache Zugangsbeschränkungen die Voraussetzung des § 2 Nr 1 lit. b) GeschGehG erfüllen. Letztlich ist die Erforderlichkeit einer Maßnahme aber stets vom Wert des Geheimnisses abhängig – die vielzitierten Kronjuwelen müssen dann eben auch entsprechend gesichert werden (zur Webseite des Tower of London geht es hier).

Es handelt sich bei der hier betrachteten Fragestellung auch um eine von wissenschaftlicher Bedeutung. Vgl. dazu auch ausführlich: Leistner, WRP 2021, 835.