Neuregelung des Geheimnisschutzes im Zivilprozess: § 273a ZPO

Es hatte sich angebahnt: Erst die §§ 16-20 GeschGehG, dann der § 145a PatG und nun womöglich bald § 273a ZPO. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in den unterschiedlichen Arten des Zivilprozesses wird verbessert und verstärkt. Betrachtet man die Stellungnahmen zum Referentenentwurf vom 25.04.2023, so gibt es an der Etablierung des Geheimnisschutzes in der ZPO scheinbar nichts zu bemängeln. Doch es lohnt sich eine genauere Betrachtung. Was bewirkt die Neuregelung?

Regierungsentwurf zum Zivilprozessrecht

Bislang hatte der Inhaber von Geschäftsgeheimnissen im deutschen Zivilprozess einen schweren Stand. Der Schutz durch §§ 172, 174 GVG und § 353d StGB war nur lückenhaft. Stets galt es die Entscheidung zu treffen, ob man sein Geschäftsgeheimnis in ein Verfahren einbringt und dadurch dessen Offenkundigwerden riskiert oder ob man zur Wahrung des Geheimnisses den Verlust des Verfahrens in Kauf nimmt. Durch die Schaffung des GeschGehG hat sich der Stand der Geschäftsgeheimnisinhaber gebessert.

Allerdings ist der Anwendungsbereich der §§ 16-20 GeschGehG nur sehr begrenzt. Während das Wort „Klagen“ unter dem Hinweis auf einen redaktionellen Fehler noch zu retten war und im Ergebnis richtigerweise auch Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz erfasst werden, kam man über die Begrenzung des Wortlauts auf „Geschäftsgeheimnisstreitsachen“ nach § 16 Abs. 1 GeschGehG nicht hinweg. Der Gesetzgeber hatte zunächst wohl auch keinen allgemeinen Schutz von Geheimnissen im Zivilprozess erwogen. Doch es ist Rettung in Sicht.

Nachdem der Anwendungsbereich der §§ 16-20 GeschGehG zunächst mittels § 145a PatG auf Patentstreitsachen ausgeweitet wurde, soll nach den Ausführungen im Regierungsentwurf zum Gesetz zur Stärkung des Justizstandorts (hier) vom 16.08.2023 in Deutschland zukünftig nicht nur Englisch gesprochen werden, wie Justizminister Dr. Marco Buschmann der FAZ verriet, sondern auch der Geheimnisschutz in der ZPO etabliert werden. Diese durchaus zentrale Neuerung findet sich ein wenig versteckt in dem Gesetzesentwurf. Die heilsbringende Vorschrift aus der Sicht der Geschäftsgeheimnisinhaber soll sich zukünftig in die Vorbereitung des ersten Termins nach § 273 ZPO einreihen und findet sich unter der Überschrift „Geheimhaltung“ in § 273a ZPO.

§ 273a Geheimhaltung

Das Gericht kann auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis nach § 2 Nummer 1 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sein können; die §§ 16 bis 20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind entsprechend anzuwenden.

Viele Entscheidungen zu den §§ 16-20 GeschGehG existieren nicht. Trotz dessen gibt es schon einige Erkenntnisse hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften, aber auch einige Mängel wurden sichtbar.

Anwendungshinweise zu § 273a ZPO

Zunächst ein paar kurze Hinweise zum Verständnis des § 273a ZPO:

Die Vorschrift dehnt den Anwendungsbereich der §§ 16-20 GeschGehG auf alle Zivilverfahren aus. Erfasst werden Klagen in der Hauptsache und Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Zum Zwangsvollstreckungsverfahren kommen wir noch.

Die systematisch wenig überzeugende Platzierung der Vorschrift zwischen den Vorschriften zur Terminsvorbereitung und Ladung sollte nicht zu Verwirrung über den Zeitpunkt der Anwendbarkeit führen: Selbstverständlich kann ein Antrag auf Schutzmaßnahmen bereits mit Einreichung von Klage oder Antragsschrift erfolgen. Bei Geschäftsgeheimnissen des Klägers bzw. Antragstellers dürfte dies geboten sein, weil andernfalls Schutzlücken bestehen.

Antragsbefugt ist jede interessierte Partei, dh nicht nur der Kläger bzw. der Beklagte, sondern auch etwa Streithelfer. Gegenstand der Anordnung sind streitgegenständliche Informationen die ein Geschäftsgeheimnis sein können.

Streitgegenständlich“ meint in der Definition des § 273a ZPO – jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Diskussion zur identischen Formulierung in § 16 Abs. 1 GeschGehG – nicht den prozessualen Streitgegenstand. Vielmehr soll der Schutz von jeder verfahrensbezogenen Information ermöglicht werden, die eine Partei in das Verfahren einbringt, sofern diese einen Bezug zum Streitstoff hat.

Die Geheimnisqualität einer Information ist nach § 20 Abs. 3 GeschGehG durch den Antragssteller glaubhaft zu machen, also an Eides statt zu versichern. Die Definition des Geschäftsgeheimnisses findet sich in § 2 Nr. 1 GeschGehG. Da der Geheimnisschutz vom Vorliegen angemessener Schutzmaßnahmen abhängt, sollte der Antragsteller sinnvollerweise auch etwas zu diesem Schutzmaßnahmen sagen. Im Übrigen sollten Berater und Mandanten berücksichtigen, dass auch eine fahrlässig falsche eidesstattliche Versicherung strafbar ist.

Ist eine Geheimhaltungsanordnung ergangen, so sind die Informationen vertraulich zu behandeln. Welche Verpflichtungen sich für die Betroffenen daraus konkret ergeben, ist noch nicht abschließend geklärt. Unter anderem bleibt die Frage offen, ob ein Betroffener zusätzliche Geheimhaltungsmaßnahmen ergreifen und welchen Aufwand er zum Schutz der Informationen möglicherweise betreiben muss.

Sämtliche Verpflichtungen gelten auch nach Abschluss des Verfahrens fort. Erst durch das Offenkundigwerden des Geheimnisses oder einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichtes entfällt die Verpflichtung zur Vertraulichkeit. Dies folgt aus § 18 GeschGehG.

Die Geheimhaltungsanordnung nach § 16 Abs. 1 GeschGehG wird durch die Möglichkeit der Zugangsbeschränkung nach § 19 Abs. 1 GeschGehG ergänzt. Geheimhaltungsmaßnahmen nach § 19 GeschGehG können nur erfolgen, wenn bereits eine Geheimhaltungsanordnung nach § 16 GeschGehG erfolgt ist. Im Rahmen des Verfahrens können der Zugangsbeschränkung unterliegende Informationen jedoch ausnahmsweise zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung weitergegeben werden. Dies folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und ist auch in § 5 GeschGehG so angelegt. Mit einer Geheimhaltungsanordnung werden, dies ist eine der entscheidenden Neuerungen, nicht nur die Parteien zur Geheimhaltung verpflichtet. Vielmehr sind auch die Prozessvertreter, Zeugen, Sachverständige und alle sonstigen Vertreter von einer Anordnung erfasst und zur Geheimhaltung verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 16 Abs. 2 GeschGehG.

Anforderungen an die Gerichte bei Anwendung von § 273a ZPO

Ergeht eine Geheimhaltungsanordnung, so muss diese hinreichend bestimmt sein. Dies hat einerseits einen ganz praktischen Grund: wenn man nicht weiß welche Informationen vertraulich behandelt werden sollen, kann man sich nicht entsprechend verhalten. Zum anderen ist dies verfassungsrechtlich geboten: Wenn eine Person wegen eines Verstoßes gegen eine Geheimhaltungsanordnung mit einem Ordnungsgeld belegt werden soll, muss natürlich vorher eindeutig geklärt sein, welchen Umfang das gerichtliche Verbot hat. Bei der Formulierung hinreichend konkreter Geheimhaltungsanordnungen haben schon die Gerichte in GeschGehG-Sachen teilweise Schwierigkeiten. Hier bleibt abzuwarten, wie dies in der Praxis der bundesdeutschen Amts- und Landgerichte aussehen wird.

Ungeklärt ist, in welchem Umfang die Gerichte die Betroffenen vor Erlass anhören müssen. § 20 Abs. 2 S. 2 GeschGehG ermöglicht es zwar, die Anhörung nach Erlass der Geheimhaltungsanordnung nachzuholen. Hier ist allerdings in hohem Maße fraglich, ob dies mit den neuen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht. Wie Karlsruhe mehrfach betont hat, ist die Anhörung der Gegenseite vor Erlass benachteiligender Entscheidungen ein „prozessuales Urrecht“. Da mit der Geheimhaltungsanordnung immerhin ein Ordnungsgeld angedroht wird, ist auch hier (wohl) das Grundrecht auf prozessuale Waffengleichheit zu wahren. Der Verzicht auf eine vorherige Anhörung müsste jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts die absolute Ausnahme bilden. Evident unzulässig ist auch der Verzicht auf eine Anhörung, wenn die Informationen bereits in das Verfahren eingebracht wurden. Weiter ist durchaus fraglich, ob nicht auch eine Anhörung der weiteren Betroffenen erforderlich ist, also der Anwälte, Zeugen und Sachverständige. § 20 Abs. 2 GeschGehG verweist nur auf die Parteien; aus § 273a ZPO ergibt sich nichts anderes. Da auch die weiteren Betroffenen unmittelbar mit einem Ordnungsgeld bedroht werden, wäre eine Anhörung wohl erforderlich. Die Grundrechte dieser Personengruppen hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht im Blick.

Anwendung von § 273a ZPO in der Zwangsvollstreckung?

Zur Geheimhaltung im ZV-Verfahren trifft § 19 Abs. 3 GeschGehG eine ziemlich eindeutige Aussage. Sofern das Gericht der Hauptsache bereits Anordnungen nach § 16 Abs. 1 oder § 19 Abs. 1 GeschGehG getroffen hat, gelten diese auch im Zwangsvollstreckungsverfahren fort. Daraus folgt (leider) zwingend, dass eine erstmalige Anordnung der Geheimhaltungsbedürftigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht möglich ist. Dass ein Bedürfnis nach Geheimhaltung im Zwangsvollstreckungsverfahren besteht und auch erstmalig im Vollstreckungsverfahren aufkommende Geheimnisse den Schutz der §§ 16-20 GeschGehG erfahren sollten, ist zwischenzeitlich wohl unbestritten. Unglücklicherweise hat dies der Gesetzgeber bei der Verfassung der Vorschriften verkannt. Dies wird durch einen kurzen Blick in die Gesetzesbegründung deutlich erkennbar (BT-Drs. 19/4724, S. 37).

Die Versuche des LG Mannheim (Beschluss vom 13.10.2021 – 2 O 73/20 ZV II) und eines Teils der Literatur, die erstmalige Anordnung contra legem auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zuzulassen, überzeugen – wie auch das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 04.01.2023 – 2 W 28/22) zutreffend feststellt – nicht. Auch der § 273a ZPO erlaubt aufgrund seiner systematischen Stellung (Buch 2: Abschnitt 1, Titel 1: Verfahren bis zum Urteil) keine andere Beurteilung. Die Ausweitung des Geschäftsgeheimnisschutzes sollte nicht vor den Toren des Zwangsvollstreckungsrechts enden. Zumindest wenn das Gericht der Hauptsache (vgl. § 20 Abs. 6 GeschGehG) agiert, sollte die erstmalige Anordnung der Geheimhaltungsbedürftigkeit auch im Zwangsvollstreckungsverfahren möglich sein. Eine Anpassung des § 19 Abs. 3 GeschGehG durch den Gesetzgeber ist geboten. Denkbar ist auch eine Verweisungsnorm auf § 273a ZPO im 8. Buch der ZPO.

Rechtsmittel Dritter?

Bedenklich ist die Ausweitung der §§ 16-20 GeschGehG aufgrund der unzureichenden Rechtsschutzmöglichkeiten der Drittbeteiligten. Gegen die Einstufung einer Information als geheimhaltungsbedürftig nach § 16 Abs. 1 GeschGehG oder die Anordnung einer Zugangsbeschränkung nach § 19 Abs. 1 GeschGehG kann nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache vorgegangen werden (vgl. § 20 Abs. 5 S. 4 GeschGehG). Diese Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Prozessökonomie und zulasten der Interessen der von der Anordnung betroffenen Personen ist mit Blick auf die Parteien (vielleicht) noch hinnehmbar. Diese können ein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegen und gegen die Anordnungen vorgehen. Wie der BGH – entgegen des Wortlauts – überraschenderweise, aber richtig klargestellt hat, steht auch den sonstigen Beteiligen ein selbständiges Rechtsmittel zu. Allerdings ist dieses nur statthaft, wenn auch ein Rechtsmittel der Partei in der Hauptsache eingelegt wurde (BGH, Beschluss vom 18.11.2021 – I ZB 86/20).

Doch was ist wenn die Parteien kein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegen? Diese Konstellation lässt der BGH ausdrücklich offen. Damit ist der Rechtsschutz der Drittbeteiligten nicht gewährleistet. Die Drittbeteiligten können, anders als die Parteien, kein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegen. Wenn sich die Parteien in der Hauptsache vergleichen oder das Verfahren sonst ohne Aufhebung der Geheimhaltungsanordnung endet, bleiben die Dritten dauerhaft mit der Drohung eines Ordnungsmittels konfrontiert. Dieses Problem hat der Gesetzgeber bei Einführung des GeschGehG offensichtlich nicht erkannt oder dessen rechtliche Bedeutung verkannt. Letztlich ist dies wohl nur mit zwei Sichtweisen zu erklären:

  • Entweder der Gesetzgeber wollte den Drittbeteiligten kein von der Hauptsache unabhängiges Rechtsmittel zuerkennen. Vielleicht weil man davon ausging, dass diese von der Geheimhaltungsanordnung nicht beeinträchtigt werden. Dies ist jedoch ein Irrtum. Unzweifelhaft stellen die Geheimhaltungsmaßnahmen die zur vertraulichen Aufbewahrung der Informationen erforderlich sind bereits einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG dar. Besteht keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen einen Grundrechtseingriff ist dies ein offenkundiger Verstoß gegen den Justizgewährleistungsanspruch nach Art. 19 Abs. 3 GG.

  • Oder man ging (stillschweigend) davon aus, dass auch den Drittbeteiligten ein eigenständiges, von der Hauptsache unabhängiges Rechtmittel zusteht. Dies führt jedoch zwangsläufig zu dem Problem, dass aus dem Gesetzestext nicht erkennbar wird, ob und unter welchen Voraussetzungen dieses Rechtsmittel besteht. Die bestehende Ausgestaltung erfüllt nicht die Anforderungen, die das BVerfG an das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Rechtsmittelklarheit stellt.

Unabhängig davon, welche Sichtweise den Vorstellungen des Gesetzgebers zugrunde lag, genügt das gegenwärtige System des Rechtsschutzes von § 20 Abs. 5 GeschGehG nicht den grundrechtlichen Anforderungen. Die Etablierung eines von der Hauptsache unabhängigen Rechtsmittel für die Drittbeteiligten bzw. die Herstellung der Rechtsmittelklarheit durch den Gesetzgeber ist dringend geboten.

Fazit: § 273a ZPO bedarf einiger Ergänzungen

Die Ausweitung des Geschäftsgeheimnisschutzes im deutschen Zivilverfahren ist wünschenswert und eine dahingehende Entwicklung ausdrücklich zu begrüßen. Wenn die Gerichte nun allerdings in potenziell Tausenden von Zivilverfahren jährlich Geheimhaltungsanordnungen erlassen, sollte man die Regelungen noch einmal sorgfältiger durchdenken und den Geheimnisschutz nicht durch eine pauschale Verweisung auf handwerklich fragwürdige Sondervorschriften regeln. Die Anwendung der §§ 16-20 GeschGehG bereitet bereits im engen Anwendungsbereich des GeschGehG Probleme. Diese sollte der Gesetzgeber bereinigen, bevor der § 273a ZPO in Kraft tritt – oder besser gleich nachvollziehbare und vollständige Vorschriften in der ZPO verankern.