OLG Düsseldorf: Gespaltener Geheimnisbegriff?

In seiner Entscheidung vom 21.09.2021 (Az. 15 W 6/21, GRUR 2022, 75 – Gutachtenherausgabe (nicht öffentlich zugänglich)) nimmt das OLG Düsseldorf an, dass der Geschäftsgeheimnisbegriff des § 2 Nr. 1 GeschGehG im sog. „Düsseldorfer Verfahren“ keine Anwendung finde. Bei der Beurteilung, ob auf Seiten des Antragsgegners ein Geschäftsgeheimnis besteht und dieses ein Geheimhaltungsinteresse begründet, sei vielmehr auf die „anerkannten und bekannten Grundsätze der Rechtsprechung“ zurückzugreifen.

Das Düsseldorfer Verfahren

Die Entscheidung des OLG betrifft die Frage, ob dem Antragsteller nach Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens wegen des Verdachts einer Schutzrechtsverletzung („Düsseldorfer Verfahren“) das Sachverständigengutachten ausgehändigt wird. Wie der Senat in der Entscheidung ebenfalls betont, hat der Antragsteller bzw. Besichtigungsgläubigerin nach Abschluss der Besichtigung grundsätzlich ein Anspruch auf Herausgabe des Sachverständigengutachtens. Dies gilt unabhängig davon, ob das Sachverständigengutachten eine Schutzrechtsverletzung bejaht oder verneint. Lediglich bei substantiiertem Vortrag des Antragsgegners zum Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses kann die Herausgabe ausgeschlossen und die Geheimhaltungspflicht der Prozessbevollmächtigten gegenüber der Antragstellerin bestehen bleiben. Die Rechtspraxis hat das Düsseldorfer Verfahren weit vor Bestehen und Inkrafttreten des GeschGehG zur gegenseitigen Interessenwahrung der Parteien mangels einer spezielleren Rechtsgrundlage entwickelt (grundlegend Kühnen GRUR 2005, 185).

Geschäftsgeheimnis

Der von einer Besichtigung betroffene Antragsgegner hat ein erhebliches Interesse daran, die Aushändigung des Gutachtens zu verhindern, wenn es ein Geschäftsgeheimnis enthält. Entscheidend ist dabei, welche Anforderungen das Gericht an die Darlegung eines solchen Geheimnisses stellt.

In der Entscheidung vom 21.09.2021 kam das OLG Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass für diese Frage nicht auf § 2 Nr. 1 GeschGehG, sondern auf die „anerkannten und bekannten Grundsätze der Rechtsprechung“ zurückzugreifen sei. Die Anwendung des § 2 GeschGehG sei „allein für das GeschGehG und damit für Verfahren, in denen Ansprüche aus diesem Gesetzt geltend gemacht werden“ vorgesehen. Außerhalb des Anwendungsbereichs des GeschGehG könne nur eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Legaldefinition des § 2 GeschGehG zu dessen Anwendbarkeit führen, an der es im Patentgesetz jedoch fehle. Die neue Regelung in § 145a PatG ordne zwar die entsprechende Anwendung der §§ 16-20 GeschGehG an, verweise aber nicht auf die Definition. Ferner sei das selbstständige Beweisverfahren ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Neuregelung ausgenommen, da der Gesetzgeber an der etablierten Rechtsprechung zum Düsseldorfer Verfahren habe festhalten wollen. Eine analoge Anwendung scheide mangels planwidriger Regelungslücke ebenfalls aus.

Bemerkenswert ist allerdings, dass der Senat trotz seiner Abgrenzung auf die Frage eingeht, ob der Besichtigungsschuldner tatsächliche Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen hatte. Auch lässt das Gericht die Frage ausdrücklich offen, ob die Angemessenheit der Maßnahmen ein Kriterium für die Beurteilung des Geheimhaltungswillens (im Sinne der früheren Rechtsprechung) sei.

Bewertung

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf überzeugt nicht und führt zu unnötigen Komplikationen. Soweit der Senat sein Festhalten an dem etablierten Geheimnisbegriff damit begründet, dass die Schutzzwecke des Düsseldorfer Verfahrens einerseits und des GeschGehG andererseits unterschiedlich seien, ist dies nur teilweise richtig. Vielmehr dient doch das Düsseldorfer Verfahren mit seiner differenzierten Entscheidung über die Gutachtenherausgabe gerade dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen des Antragsgegners. Zumindest insoweit kann unterschiedlichen Schutzzwecken also keine Rede sein.

Der Anwendbarkeit steht auch nicht der Wortlaut des § 2 GeschGehG („Im Sinne dieses Gesetzes“) entgegen. Im Gegenteil: Mit dem GeschGehG wurde nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein „Stammgesetz“ geschaffen, dass die rechtswidrige Erlangung, Nutzung und Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen umfassend regeln soll. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, den Antragsgegner eines Besichtigungsverfahrens besser zu stellen als andere Inhaber von Geschäftsgeheimnissen. Sofern der Besichtigungsschuldner keine angemessenen Schutzmaßnahmen darlegen kann, sind seine Informationen aufgrund der eigenen Nachlässigkeit nicht schutzwürdig (vgl. zu den Schutzmaßnahmen bereits hier und hier). Dass das OLG Düsseldorf sich diesem Aspekt trotz der Hinweise auf die frühere Rechtslage nicht ganz verschließt, zeigt letztlich der Umstand, dass der Senat – insoweit dann doch in Abkehr von der früheren Rechtsprechung – das Vorhandensein von Schutzmaßnahmen bei der Frage erörtert, ob ein Geheimhaltungswille bestehe.

Die durch den Rechtsstreit zutage getretene Frage stellt sich auch in anderen Fällen. So begründet § 384 Nr. 3 ZPO etwa ein Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz vor der Offenlegung von „Gewerbegeheimnissen“. Wollte man die Bewertung des OLG Düsseldorf auf diese Norm übertragen, könnte man ebenfalls argumentieren, dass ein ausdrücklicher Verweis auf § 2 GeschGehG nicht vorliege und daher eine autonome Auslegung des Begriffs erfolgen müsse. Richtigerweise wird dies im Schrifttum allerdings abgelehnt und darauf verwiesen, „dass mit dem in Rede stehenden […] Gewerbegeheimnis sinnvollerweise nur Geschäftsgeheimnisse gemeint sein können“ (Müller, in: Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 384 ZPO Rn. 10). Die zitierte Erwägung ist auf alle anderen Fälle übertragen, in denen auf ein Geheimnis verwiesen wird (z.B. § 120 BetrVG, aber auch „vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft“, §§ 93 Abs. 1 S. 2, 394 S. 2, 404 AktG und zahlreiche weitere Normen). Insgesamt sollten sämtliche Rechtsnormen, die auf ein „Betriebs-und Geschäftsgeheimnis“ (oder eben noch veralteter auf ein „Gewerbegeheimnis“) verweisen, einheitlich ausgelegt werden.

Fazit

Der Beschluss des OLG Düsseldorf steht beispielhaft für viele noch ungeklärte Fragen über den aktuellen und zukünftigen Umgang mit dem GeschGehG und seinen Grenzen. Vor dem Hintergrund des lange nicht hinreichend ausgestalteten Geheimnisschutzes wäre es allerdings fatal, die neu geschaffenen Rechtsgrundlagen nicht einheitlich anzuwenden, solange der Gesetzgeber keine ausdrückliche Abweichung anordnet.