BGH: Erste Entscheidung zu der Geheimhaltungsanordnung nach §§ 16, 19 GeschGehG

Mit dem GeschGehG hat der Gesetzgeber neue Möglichkeiten zur Geheimhaltung von Informationen während eines Gerichtsverfahrens geschaffen. In der Praxis werfen die Regelungen der §§ 16 ff. GeschGehG allerdings eine Reihe von Fragen auf. Die Analyse der Probleme wird dadurch erschwert, dass die meisten Geheimhaltungsanordnungen nicht veröffentlicht werden, weil sie eben auch geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten. In einer eher seltenen Konstellation hat sich der BGH jetzt zur Zulässigkeit der Rechtsmittel der Prozessbevollmächtigten gegen eine solche Anordnung geäußert (Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZB 86/20).

Hintergrund

Mit den §§ 16-20 GeschGehG will der Gesetzgeber den Vorgaben der Know-how-Schutz-Richtlinie folgen und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Gerichtsverfahren sicherstellen (siehe zur künftigen Anwendung im Zivilverfahren hier). Kurz zusammengefasst, ermöglichen es die Regelungen dem Gericht, bestimmte Informationen als geheimhaltungsbedürftig einzustufen (§ 16 GeschGehG) und den Zugang zu bestimmten Informationen und zur mündlichen Verhandlung auf konkret zu benennende Personen zu beschränken (§ 19 GeschGehG). Ein Verstoß gegen die Geheimhaltungsanordnung, aber nicht der Verstoß gegen die Zugangsbeschränkung, ist mit einem Ordnungsgeld von bis zu 100.000 Euro oder Ordnungshaft bewehrt (§ 17 GeschGehG).

Was sich in der Theorie und in der Gesetzesbegründung gut anhört, hat in der Praxis für die Beteiligten – einschließlich der Prozessbevollmächtigten – jedoch erhebliche Tücken. Wird eine Geheimhaltungsanordnung zugestellt, so ergeben sich für alle Beteiligten ziemlich viele Fragen.

Ausgangsverfahren

Wir wollen nicht verhehlen, dass wir als Prozessbevollmächtigte am Ausgangsfall beteiligt und von der Geheimhaltungsanordnung selbst betroffen waren, was unsere rechtliche Befassung mit den Problemen intensiviert hat. Dies ändert aber nichts daran, dass die Regelungen aus der Sicht der Praxis, insbesondere der Prozessbevollmächtigten, wenig durchdacht sind. Was war passiert?

In einem seit vielen Jahren währenden Verfahren wegen der angeblichen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen hat das OLG Koblenz auf Antrag der Klägerin einen Antrag nach §§ 16, 19 GeschGehG erlassen. Dass der Beschluss ohne vorherige Anhörung der Beklagten erging, obwohl die relevanten Informationen seit immerhin 15 Jahren Gegenstand des Verfahrens waren, war noch die kleinere Merkwürdigkeit.

Bei einem Problem wollte das OLG Koblenz keine Präzisierung vornehmen, ein weiteres konnte es nicht lösen, weil die rechtliche Schwierigkeit durch den Gesetzgeber verursacht wurde: Welche Pflichten begründet die Geheimhaltungsanordnung und wem stehen eigentlich welche Rechtsmittel zu?

Welche Pflichten resultieren aus dem Beschluss nach §§ 16, 19 GeschGehG?

Nach § 16 Abs. 2 GeschGehG müssen im Fall einer Geheimhaltungsanordnung „die Parteien, ihre Prozessvertreter, Zeugen, Sachverständige, sonstige Vertreter und alle sonstigen Personen, die an Geschäftsgeheimnisstreitsachen beteiligt sind oder die Zugang zu Dokumenten eines solchen Verfahrens haben“ diese Informationen „vertraulich behandeln“, sofern sie diese nicht außerhalb des Verfahrens erhalten haben. Diese Anordnung ist nach § 17 GeschGehG mit einem Ordnungsgeld von bis zum 100.000 Euro oder Ordnungshaft bewährt. So hatte – richtigerweise – auch das OLG Koblenz seinen Beschluss formuliert.

Dass unsere Mandantin die ihr übersandten Informationen nun vertraulich behandeln musste, war zwar nach 15 Jahren Prozessdauer ein wenig seltsam, aber noch nachvollziehbar. Die Besonderheit ergab sich für uns aber daraus, dass nun auch wir als Kanzlei (oder jeder einzelne Anwalt?) unter der Ordnungsgeldandrohung standen. Das ist nicht gerade alltäglich – jedenfalls bislang.

Zunächst einmal haben wir uns gefragt, welche Verpflichtungen eigentlich aus der Anordnung resultieren. Dass jeder Anwalt und jede Sozietät verpflichtet ist, eine fahrlässige Preisgabe von Mandatsinformationen zu vermeiden, ergibt sich schon aus § 43a BRAO. Natürlich haben auch wir eine Firewall, verlangen Verschwiegenheitserklärungen von Praktikanten und Referendaren und wir schließen auch die Türen abends zu. Aber genügt das? Erfordert die vertrauliche Behandlung des Geschäftsgeheimnisses mehr als diese Maßnahmen? Müssen die Akten in den Tresor? Wie steht es um die Zusammenarbeit an der Sache innerhalb der Kanzlei? Müssen wir „Chinese Walls“ einführen?

Dafür, dass die Anordnung erhebliche Sanktionen enthält (Ordnungshaft!), ist sie für unseren Geschmack einigermaßen unklar. Hier besteht auch nach der BGH-Entscheidung noch Klärungsbedarf.

Rechtsmittel gegen die Geheimhaltungsanordnung

Ein anderer Punkt ist noch spannender: Ein Rechtsmittel gegen die Geheimhaltungsanordnung kann gemäß § 20 Abs. 5 S. 4 GeschGehG nur gemeinsam mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache eingelegt werden. Aus unserer Sicht ergibt bzw. ergab sich daraus, dass ausschließlich die Parteien des Verfahrens ein Rechtsmittel gegen den Geheimhaltungsbeschluss haben. Diese (recht naheliegende) Deutung entspricht auch der Ansicht im Schrifttum (Kalbfus, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 20 Rn. 41; Schönknecht, in: Keller/Schönknecht/Glinke, Geschäftsgeheimnisschutzgesetz, § 20 Rn. 44). Aber ist sie auch tragbar?

Insbesondere für die an einer Geschäftsgeheimnissache beteiligten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist die Situation ausgesprochen pikant: Sollte die genannte Auffassung richtig sein und ein Rechtsmittel ausnahmslos nur mit dem Rechtsmittel in der Hauptsache eingelegt werden können, stünden die betroffenen Prozessbevollmächtigten unter dem Druck einer Ordnungsmittelandrohung, ohne ein (eigenes) Rechtsmittel gegen die Androhung zu haben. Ohne in verfassungsrechtliche Details zu gehen: Das kann so nicht sein.

Wir haben daher „Beschwerde“ gegen den Beschluss des OLG Koblenz eingelegt (natürlich in Kenntnis der zweifelhaften Statthaftigkeit) und der Senat hat die Sache an den BGH weitergereicht.

Klarstellung des BGH – und doch keine Lösung

Einen (kleinen) Teil des Problems hat der BGH nun gelöst: Mit Beschluss vom 18.11.2021 (I ZB 86/20, hier abrufbar) stellt der I. Zivilsenat nun klar, dass auch Prozessbevollmächtigten ein Rechtsmittel gegen die Geheimhaltungsanordnung zusteht. Aus der Regelung des § 20 Abs. 5 S. 4 GeschGehG folge keine Beschränkung des Kreises der rechtsmittelberechtigten Personen. Dies war nun nach dem Gesetzeswortlaut und den Stimmen in der Literatur einigermaßen überraschend, aber durchaus erfreulich.

Auch der BGH, so dachten wir zunächst, meint also, dass selbstverständlich jedem von einem Ordnungsmittel bedrohten Prozessbevollmächtigten auch ein Rechtsmittel gegen die Anordnung zustehen muss. Leider ist die Klarstellung aber doch nicht so deutlich: Wie der BGH nämlich ergänzt, ist das Rechtsmittel nur dann statthaft, wenn die Partei ihrerseits ein Rechtsmittel in der Hauptsache einlegt. Solange dies nicht der Fall ist, ist das Rechtsmittel der Prozessbevollmächtigten unstatthaft. Zur Begründung erläutert der I. Zivilsenat unter anderem, dass sich das Gericht bei einer anderen Gestaltung ein weiteres Mal in die Prozessakten einarbeiten müsste. Prozessökonomie und Schutz der Gerichte vor Überlastung in allen Ehren – man mag geteilter Meinung sein, ob die Argumentation des BGH richtig ist. Uns als Betroffener der Ordnungsmittelandrohung hat sie jedenfalls nicht überzeugt.

Noch einen weiteren Grund führt der BGH an: Würde man den Prozessbevollmächtigten die Anfechtung schon vor Einlegung eines Rechtsmittels in der Hauptsache ermöglichen, stünden diese besser als die Parteien, obwohl die Parteien regelmäßig Wettbewerber und daher von der Anordnung der Geheimhaltung stärker beschwert seien. Auch dies überzeugt nicht – die Abwägung müsste genau andersherum ausfallen: weil die Parteien in der Regel Wettbewerber sind und die betroffenen Informationen ggf. verwerten könnten, besteht insoweit ein besonderes Schutzbedürfnis. Bei Prozessbevollmächtigten ist die Interessenlage erkennbar anders: Anwälte dürften zumeist nicht in einmal die (technischen) Fähigkeiten haben, die verfahrensrelevanten Informationen zu verwerten – mit den hochkomplexen Bauplänen der Prozessgegner unserer Mandanten können wir jedenfalls keine Anlage in der Garage nachbauen. Dieses grundlegend abweichende Interesse rechtfertigt auch eine andere Rechtsschutzmöglichkeit. 

Die zentrale Schwierigkeit findet sich in Rn. 18 des Beschlusses: Welches Rechtsmittel den Prozessbevollmächtigten zur Verfügung steht, wenn ein Rechtsmittel in der Hauptsache nicht eingelegt wird und/oder nicht mehr eingelegt werden kann, so der BGH, „bedarf vorliegend keiner Entscheidung“.

Gerade hier liegt aber die Krux: Die Geheimhaltungsanordnung gilt auch nach Beendigung des Verfahrens fort (§ 18 Satz 1 GeschGehG). Wenn also ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung nicht eingelegt wird oder das Verfahren sonst endet, stehen die Prozessbevollmächtigten potentiell für eine unbegrenzte Zeit unter dem Druck des Ordnungsmittels. Ein Rechtsmittel steht ihnen aber gerade nicht (mehr) zu, da ein Rechtsmittel in der Hauptsache nicht mehr eingelegt werden kann.

Zumindest hier dürfte ein ernster Konflikt zum Justizgewährungsanspruch vorliegen, auch wenn der BGH dies in Rn. 20 des Beschlusses anders sehen möchte. An dieser Stelle verweist der Senat darauf, dass von Verfassungs wegen nur eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet sein muss. Dies entspricht zwar der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG. Die Frage ist aber, wann und wie die Prozessbevollmächtigten ein solches Rechtsmittel nach Ende des Hauptverfahrens einlegen sollen: Können die Prozessbevollmächtigten nach Verfahrensabschluss einen Antrag auf Änderung nach § 20 Abs. 2 S. 2 GeschGehG stellen? Dagegen spricht schon der Umstand, dass in diesem Satz allein auf eine Anhörung „der Parteien“ und gerade nicht aller Betroffenen verwiesen wird. Wenn es aber diese Möglichkeit nicht gibt, dann existiert kein anderes und vor allem von dem Vorgehen der anderen Betroffenen unabhängiges Rechtsmittel gegen die Geheimhaltungsanordnung. Hier besteht also Klärungs- und aus unserer Sicht auch Nachbesserungsbedarf.