OGH Wien: Konkludente Verschwiegenheitspflicht bei Übertragung von Geheimnissen

Nach Ansicht des OGH Wien (Az.: 4Ob182/20y) kann die die Einräumung eines Werknutzungsrechts an einem (als Geschäftsgeheimnis zu bewertenden) Softwarequellcode eine konkludente Geheimhaltungspflicht zulasten des Urhebers begründen. Die Erwägungen des Gerichts sind für die deutsche Rechtspraxis unter zwei Gesichtspunkten interessant.

Ausgangsfall

Die Klägerin begehrte eine einstweilige Verfügung zur Verhinderung der Offenlegung ihres Geschäftsgeheimnisses durch den Beklagten. Dieses Geschäftsgeheimnis bestand aus dem Softwarequellcode, den der Beklagte entwickelt und später in eine unter anderem von ihm gegründete GmbH eingebracht hatte. Bis 2019 war der Beklagte auch Geschäftsführer dieser GmbH.

Im Jahr 2017 schloss die GmbH, vertreten durch den späteren Beklagten, einen Kooperationsvertrag und eine Escrow-Vereinbarung mit der Klägerin. Die Verträge räumten dieser das exklusive Vertriebsrecht in Österreich und Deutschland sowie ein Vorkaufsrecht an dem Softwarequellcode ein. Die Weiterentwicklung des Quellcodes erfolgte weiterhin durch die GmbH. Erst nach Eintritt des Vorkaufsfalls sollte die Klägerin ein unbegrenztes Verwertungsrecht erhalten und die Weiterentwicklung der Software übernehmen. Nachdem der Beklagte als Geschäftsführer der GmbH ausgeschieden war, schloss die GmbH mit der Klägerin einen Vertrag über die vollständige Übertragung aller IP-Rechte an der Software-Produktfamilie.

Im Jahr 2020 drohte der Beklagte, den Softwarequellcode öffentlich zu machen. Dagegen wendete sich die Klägerin im Wege einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Antrag, dem Beklagten ein Offenlegungsverbot aufzuerlegen. Während das erstinstanzliche Gericht dem Antrag stattgab, hob das zweitinstanzliche Gericht das Verbot wieder auf. Der OGH Wien entschied erneut zugunsten der Klägerin.

Begründung

Neben verschiedenen, hier nicht relevanten urheberrechtlichen Erwägungen führt der OGH Wien aus, dass das Verhalten des Beklagten die Gefahr einer rechtswidrigen Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses durch Offenlegung begründe.

Bei dem Quellcode handele es sich um ein Geschäftsgeheimnis i.S.d. § 26b Abs 1 öUWG (= § 2 Nr. 1 GeschGehG) dessen Inhaberin die Klägerin infolge der Übertragung geworden sei. Die angedrohte Offenlegung des Quellcodes durch den Beklagten wäre, so der OGH Wien, auch rechtswidrig, weil der Beklagte durch die Offenlegung eine vertragliche Verschwiegenheitsverpflichtung i.S.d. § 26c Abs 2 Z. 2 öUWG (= § 4 Abs. 2 Nr. 3 GeschGehG) verletze. Diese Verpflichtung wiederum folge aus der konkludenten Übertragung des Werknutzungsrechts durch den Beklagten an die GmbH. Ansonsten sei der Vertragsgegenstand – d.h. die Rechte an dem Softwarequellcode – „drastisch entwertet“. Auf diese Verschwiegenheitsverpflichtung könne sich auch die Klägerin als nunmehrige Inhaberin des Geschäftsgeheimnisses berufen.

Beurteilung

Das Urteil ist in zweierlei Hinsicht beachtenswert:

Zunächst stützt das Gericht den klägerischen Anspruch auf eine Vereinbarung, die zwischen dem Beklagten und der GmbH – also gerade nicht der Klägerin – geschlossen wurde. Dass ihre Stellung als Geschäftsgeheimnisinhaberin ihr auch eine Berufung auf diesen Vertrag erlaubt, wird ohne vertiefte Untersuchung angenommen. Ob es sich bei dem Vertrag zwischen dem Beklagten und der GmbH tatsächlich um einen Vertrag zugunsten Dritter handelt, kann allenfalls vor dem Hintergrund, dass zwischen der GmbH und der Klägerin bereits ein Vertrag bestand, angenommen werden. Ob dies gegenüber jedem beliebigen zukünftigen Vertragspartner hätte geltend gemacht werden können, scheint zweifelhaft.

Vor allem enthält die Entscheidung die wichtige Klarstellung, dass sich auch unter der Know-how-Schutz-RL 2016/943 eine vertragliche Geheimhaltungspflicht als konkludent vereinbarte Nebenpflicht oder aufgrund ergänzender Vertragsauslegung ergeben kann. Dies entspricht auch der wohl herrschenden Meinung in dem deutschen Schrifttum (so jeweils ausdrücklich Ohly, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 2020, § 4 Rn. 32; Alexander, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl. 2021, GeschGehG § 4 Rn. 48). Die Bedeutung dieser Feststellung für die Praxis ist jedoch immens: Sofern – was zu hoffen ist – auch deutsche Gerichte sich dieser Ansicht anschließen, wäre damit ausdrücklich klargestellt, dass angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen nicht immer und ausnahmslos den Abschluss einer schriftlichen Geheimhaltungsvereinbarung erfordern.

Zu berücksichtigen ist bei der Annahme einer konkludenten Verschwiegenheitserklärung allerdings, was der OGH Wien in seiner Entscheidung nicht weiter erwähnt, dass die Annahme durchaus weitreichende Auswirkungen auf den Verkäufer bzw. Überlasser eines Geheimnisses hat: Wenn die Überlassung eines Geschäftsgeheimnisses eine konkludente Geheimhaltungspflicht beinhaltet, so ist der Überlasser damit auch verpflichtet, für eine potentiell unbegrenzten Zeitraum eigene Geheimhaltungsmaßnahmen zu ergreifen und das überlassene Geheimnis vor einem Zugriff Dritter zu schützen. Dies kann, wenn der Überlasser nicht sämtliche Kopien vernichten kann, zu einer erheblichen Belastung führen.

Fazit

Auch ohne ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung kann der Verkäufer oder Überlasser eines Geschäftsgeheimnisses bei einer Übertragung einer konkludenten Geheimhaltungsverpflichtung unterliegen. Dies gilt jedenfalls nach der Ansicht des OGH Wien und des deutschen Schrifttums. Die Sicherstellung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen setzt also nicht in jedem Fall eine ausdrückliche Vereinbarung voraus. Empfehlenswert ist der Abschluss einer solchen Vereinbarung trotzdem. Der entschiedene Fall hatte gewisse Besonderheiten und es ist durchaus vorstellbar, dass andere Gerichte das Unterlassen derart simpler und kostenfrei realisierbarer Schutzmaßnahmen weniger nachsichtig behandeln.