Wie verschiedene Medien berichteten (hier und hier), lässt der Axel-Springer-Verlag Drohschreiben an den Vertreter einer der Frauen verschicken, die im Rahmen der Affäre um und mit Julian Reichelt ausgesagt haben. Der Vorwurf: Der Anwalt soll ein Protokoll „durchgestochen“ haben. Der Verlag wertet dies als strafbaren Verstoß gegen das GeschGehG. Das klingt spannend und gibt Anlass, über den Vorwurf einmal nachzudenken.
Ausgangslage
Soweit den Presseberichten zu entnehmen, hat der Axel-Springer-Verlag im Rahmen eines internen Compliance-Verfahrens gegen den ehemaligen Chefredakteur Julian Reichelt in der Affäre um Machtmissbrauch einen Ausschuss eingerichtet, vor dem auch mehrere der betroffenen Frauen angehört wurden. Eine der betroffenen Frauen wird von dem Berliner Medienrechtler Christian Schertz vertreten. Das Gesprächsprotokoll der Sitzung mit den Aussagen der von Schertz vertretenen Frau ist auf ungeklärtem Weg an Stellen außerhalb des Axel-Springer-Verlages gelangt.
Der Verlag erhebt nun den Vorwurf, dass entweder Christian Schertz oder seine Mandantin dieses Protokoll an die Medien „durchgestochen“ habe. Diesen Vorgang soll, so die Berichte, die Hamburger Kanzlei KNPZ als möglichen Verstoß gegen das Geschäftsgeheimnisgesetz bewerten und in Drohschreiben auf strafrechtliche Folgen hingewiesen haben. Christian Schertz weist den Vorwurf von sich und erläutert, dass das Durchstechen des Protokolls den Interessen seiner Mandantin zuwiderlaufe. Dies können wir mangels Kenntnis von Sachverhalt und Hintergrund naturgemäß nicht beurteilen. Interessant sind aber die rechtlichen Fragen, die dem Vorwurf des Axel-Springer-Verlags zugrunde liegen.
Privatinformationen und Geschäftsgeheimnisse
Nach § 2 Nr. 1 a) GeschGehG ist ein Geschäftsgeheimnis „eine Information, .. die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist (…)“.
Der Wortlaut des Gesetzes hilft bei der Einordnung von Informationen aus dem privaten Lebensbereich einer Person also nicht direkt weiter. Private Geheimnisse sind offenbar nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen. Jedoch fordert das Tatbestandsmerkmal „Geschäftsgeheimnis“ wohl eine gewisse Abgrenzung zu privaten Informationen. Ferner scheint fraglich, ob private Informationen einen „wirtschaftlichen Wert“ aufweisen können. Rechtsprechung zur Auslegung des Merkmals und zur Beantwortung dieser Frage liegt, wenig überraschend, noch nicht vor.
Die Know-how-Schutz-RL dürfte davon ausgehen, dass private Geheimnisse nicht vom Anwendungsbereich der Regelungen erfasst sein sollen. So verweist Erwägungsgrund 1 auf die Investitionen in den Erwerb, die Entwicklung und die Anwendung von Know-how und Informationen durch Unternehmen und nicht kommerzielle Forschungseinrichtungen. In Erwägungsgrund 2 wird die Bedeutung von Geschäftsgeheimnissen als Instrument der Sicherstellung unternehmerischer Wettbewerbsfähigkeit mit der Bedeutung von Patenten und anderen Formen des geistigen Eigentums verglichen. Die Erwägungsgründe 8 und 9 verweisen auf die Bedeutung eines einheitlichen Schutzes von Geschäftsgeheimnissen für den Binnenmarkt und die Reduzierung von Geschäftsrisiken durch einen angemessenen Schutz. Insgesamt spricht die gesamte Intention des Richtliniengebers dafür, dass nur solche Informationen als Geschäftsgeheimnis geschützt werden sollen, die eine (mehr oder minder direkte) Beziehung zum Unternehmen aufweisen.
Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass das Schrifttum darauf verweist, dass Informationen, die nur die Privatsphäre eines Unternehmers betreffen, kein Geschäftsgeheimnis bilden. Dies soll – richtigerweise – auch für den Fall gelten, dass schwerwiegende Vorgänge um die Person eines Unternehmers in irgendeiner mittelbaren Weise auf das Ansehen des Unternehmens ausstrahlen (so Harte-Bavendamm, in: Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, § 2 Rn. 16 a.E.). Anders urteilt Alexander (in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 GeschGehG Rn. 84), der einen potentiellen Schutz annimmt, wenn die Information unmittelbar für die Unternehmenstätigkeit von Belang ist (z.B. Gesundheitszustand einer Führungspersönlichkeit). Diese Ansicht überzeugt vor dem Hintergrund der zitierten Erwägungsgründe nicht unbedingt. Der Gesundheitszustand des Vorstandsvorsitzenden mag sicherlich eine Bedeutung für den Aktienkurs haben und dessen Bekanntwerden wirtschaftlich nachteilig sein, einen (unmittelbaren) wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen in dem Sinn, wie ihn die Know-how-Schutz-RL fordert, hat diese Informationen jedoch eher nicht.
Selbst wenn man aber mit Alexander annimmt, das bestimmte wichtige Privatinformationen Gegenstand eines Geschäftsgeheimnisses sein könne, dürften die Informationen in dem Protokoll diese Schwelle nicht erreichen. Hier muss man sauber unterscheiden: Die Frage, ob eine wichtige Führungsperson eines Unternehmens in unangemessener Weise seine Machtposition gegenüber Mitarbeiterinnen ausgenutzt hat und ggf. ein grundlegendes Problem in der Unternehmenskultur besteht, kann wirtschaftlichen Wert haben. Dies bestätigen nicht zuletzt die verschiedenen Hinweise in der (Nicht-Springer-)Presse, derzufolge die New York Times bei ihrer Berichterstattung über die Affäre auch ihre eigenen Interessen und die Rolle des Springer-Konzerns als Konkurrent auf dem Medienmarkt im Blick hatte (z.B. hier und hier). Ein möglicher Abschlussbericht des Compliance-Ausschusses, der zu einem solchen Ergebnis käme, könnte also ein Geschäftsgeheimnis sein, weil sich eine solche Gesamtbewertung negativ auf Geschäftschancen und Absatzmöglichkeiten insbesondere in den USA auswirkt.
Eine vergleichbare Bedeutung dürfte das Protokoll jedoch nicht aufweisen. Aller Wahrscheinlichkeit nach enthält das Protokoll tatsächliche Angaben zu einer oder mehreren einzelnen Begebenheiten zwischen Julian Reichelt und einer Mitarbeiterin, die als mehr oder minder gewichtiges Indiz für ein Fehlverhalten zu werten sind (oder auch nicht). Die Bedeutung dieser Einzelinformationen dürfte mit der Bedeutung eines Abschlussberichtes nicht vergleichbar sein, zumal sie jedenfalls keinen Beleg für ein mögliches systematisches Fehlverhalten erbringen. Daher dürften die in dem Protokoll enthaltenen Informationen als solche kein Geschäftsgeheimnis darstellen. Das gleiche dürfte für die Tatsache gelten, dass die betroffene Mitarbeiterin vor dem Compliance-Ausschuss wie protokolliert ausgesagt hat.
Inhaberschaft des Unternehmens von privaten Geheimnissen
Auch wenn man dies noch anders sehen wollte, wäre zu hinterfragen, ob der Axel Springer-Verlag überhaupt Inhaber des vermeintlichen Geschäftsgeheimnisses ist. Zur Erinnerung: bei den relevanten Informationen handelte es sich um das Protokoll der Aussage einer Mitarbeiterin vor einem internen Ausschuss des Verlages. Wir dürfen davon ausgehen, dass nicht die Fragen der Ausschussmitglieder, sondern die Aussagen der Mitarbeiterin das faktische (nicht wirtschaftliche!) Interesse an dem Protokoll begründen. Es geht also um Informationen über bestimmte Sachverhalte, die die Mitarbeiterin im Gedächtnis hat. Diese Informationen darf die Mitarbeiterin als eigenes Wissen grundsätzlich in beliebiger (rechtmäßiger) Weise nutzen.
Auch der Umstand, dass das Protokoll möglicherweise durch andere Mitarbeiter des Springer-Verlages gefertigt wurde, führt nicht dazu, dass der Verlag Inhaber der in dem Protokoll verkörperten Informationen wird. Die Mitarbeiterin bleibt auch in diesem Fall zur Wiedergabe dieser Informationen – ihrer persönlichen Erfahrungen – befugt.
Bedeutung einer möglichen vertraglichen Geheimhaltungsverpflichtung
Es bleibt die Frage, ob sich die Beurteilung ändert, wenn – was wir nicht wissen – die Mitarbeiterin eine Verschwiegenheitserklärung in Bezug auf die Inhalte der Ausschusssitzung abgegeben hat. Eine solche Verschwiegenheitserklärung würde zwar sicherlich eine Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung oder Offenlegung im Sinne der § 4 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GeschGehG begründen. Die Mitarbeiterin hätte sich dann vertraglich verpflichtet, die Informationen nicht weiterzugeben.
Eine solche vertragliche Verpflichtung führt aber nicht dazu, dass die Informationen zu einem Geschäftsgeheimnis werden, dessen Offenlegung strafrechtliche Relevanz hat. Vertragsparteien sind im Rahmen der Privatautonomie darin frei, sich zur Geheimhaltung beliebiger Informationen zu verpflichten. Sie können aber (selbstverständlich) nicht durch den Parteiwillen den Anwendungsbereich eines Straftatbestandes ausweiten.
Fazit
Informationen aus den privaten Lebensbereich eines Unternehmers sind nur in seltenen Ausnahmefällen durch das GeschGehG geschützt. Bei Angaben über das Verhalten von Julian Reichelt gegenüber Mitarbeiterinnen dürfte ein Schutz nach dem GeschGehG ausscheiden.