Hello HinweisgeberschutzG, bye, bye NDA

Das geplante Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) soll im Interesse der Aufdeckung von Missständen einen besseren Schutz sog. „Whistleblower“ sicherstellen. Im Fokus steht der Schutz der Arbeitnehmer, die ohne das Risiko von Sanktionen über Probleme im eigenen Unternehmen berichten sollen. Wenig beachtet ist der Umstand, dass das neue Gesetz auch Auswirkungen auf die Wirksamkeit von NDA mit unternehmensfremden Dritten hat und die Durchsetzung von NDA in bestimmten Fällen aushebelt.

Beispiel: Wenn NDAs wertlos werden

Diesen zugegebenermaßen recht langen Beitrag beginnen wir mit einem Beispiel, um den Irrsinn vor Augen zu führen:

Ein Unternehmen hat eine ordnungsgemäße immissionsschutzrechtliche Genehmigung zum Betrieb einer Anlage. Das Unternehmen beauftragt ein externes Ingenieurbüro mit der Prüfung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Abgasmenge verringert werden könnte. Selbstverständlich schließen das Unternehmen und das Ingenieurbüro einen NDA, mit dem sich das Ingenieurbüro zur Geheimhaltung der Resultate verpflichtet. Die Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass das Unternehmen mit einem gewissen finanziellen Aufwand die Abgase durch neue Filtertechnik um 90 % reduzieren kann. Die Geschäftsführung entscheidet sich dafür, die Filter erst nach Ablauf der Genehmigung einzubauen, um Kosten zu sparen.

Der hochmotivierte Mitarbeiter des Ingenieurbüros ist empört, schreibt einen langen Brief an das Bundesamt für Justiz (Erklärung folgt sogleich) und wendet sich, als keine Reaktion erfolgt, dann an die Presse. Es folgt ein Shitstorm, verbunden mit einem Auftragseinbruch und erheblichem Stellenabbau.

Konsequenzen für Ingenieurbüro und dessen hochmotivierten Mitarbeiter: Keine.

Das kann doch nicht sein? Dann lesen Sie mal weiter…

Hintergrund: Das Hinweisgeberschutzgesetz

Informationen interner Hinweisgeber („Whistleblower“) haben eine wichtige Rolle in der Aufdeckung von Missständen. Die Umsetzung der „Whistleblower-Richtlinie“ (Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden) soll den Schutz der Hinweisgeber nun bekanntlich stärken. Allerdings enthalten die Regelungen des deutschen Gesetzesentwurfes (HinSchG-E) wie auch der Richtlinie einige Bestimmungen, die in der öffentlichen Diskussion weniger im Vordergrund stehen und ernsthafte Risiken für den Schutz sensibler Informationen begründen. Dies betrifft insbesondere den Schutz von Informationen im Verhältnis zu externen Dienstleistern, die – was auf den ersten Blick überraschen mag – in den Schutzbereich der Vorschriften einbezogen sind.

Persönlicher Anwendungs- und Schutzbereich

Zentrale Regelung des Gesetzes bildet das Repressalienverbot des § 36 HinSchG-E. Die Vorschrift verbietet es, einer hinweisgebenden Person und ihr nahestehenden Personen aufgrund der im Rahmen des Gesetzes erfolgenden Verbreitung von Informationen über Missstände irgendwelche Nachteile zuzufügen. Wer eine hinweisgebende Person ist, hat der Gesetzgeber wiederum in § 1 Abs. 1 HinSchG-E definiert: Geschützt ist jeder, der „im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit“ (oder in deren Vorfeld) Informationen über Missstände erhält und diese im Rahmen des Gesetzes weitergibt.

Diese Definition erfasst nicht nur Vorgänge im eigenen Unternehmen eines Beschäftigten, also im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer. Der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit geht weit darüber hinaus, weil viele Beschäftigte auch Kenntnis über Vorgänge und ggf. eben auch Missstände in Drittunternehmen erlangen. Besonders deutlich ist dies bei Personen, die z.B. als selbstständige Unternehmensberater oder Prüfingenieure tätig werden und Vorgänge oder Anlagen bei ihren Kunden, also Drittunternehmen, bewerten und begutachten. Aber auch die Beschäftigten von Wartungsunternehmen oder sonstige Dienstleister erhalten im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Kenntnis von Vorgängen sowohl im eigenen Unternehmen wie auch im Unternehmen ihrer Kunden.

Entscheidend ist, dass das Repressalienverbot auch für diese Personen gilt (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-E). Wenn also der Unternehmensberater, Prüfingenieur oder der Mitarbeiter des Wartungsunternehmens über Missstände im Betrieb des Auftraggebers berichtet, ist – im Ausgangspunkt – die Ausübung von Sanktionen gesetzlich verboten.

Sachlicher Anwendungsbereich

Der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG geht weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus. Erfasst werden alle Verstöße, die einen Verstoß gegen ein Strafgesetz bilden (können) sowie alle Verstöße, die mit einem Bußgeld bewehrt sind, sofern die Bußgeldvorschrift dem Schutz von Leben, dem Gesundheits- oder dem Beschäftigtenschutz dient. Darüber hinaus fallen in den Anwendungsbereich, wie von der Richtlinie vorgesehen, Verstöße gegen eine sehr, sehr lange Liste von europäischen Richtlinien und Verordnungen. Betroffen ist eine große Vielzahl von Vorschriften unter anderem zur Produkt- und Lebensmittelsicherheit, zum Umweltschutz, zum Verbraucher- und Datenschutz, zum Steuerrecht sowie zum Schutz der Verbraucher vor unlauterer Werbung. Erfasst ist also die systematische Steuerhinterziehung ebenso wie die banale Irreführung über die Eigenschaften (auch geringwertiger) Produkte.

Bemerkenswerter noch ist die Definition des Begriffes „Verstoß“ im HinSchG. Der Begriff ist von zentraler Bedeutung, weil nur „Verstöße“ gemeldet werden dürfen. Ein „Verstoß“ ist zunächst eine Handlung oder Unterlassung, die rechtswidrig ist und in den Katalog von § 2 HinSchG-E fällt. Ferner liegt ein „Verstoß“ aber auch dann vor, wenn eine Handlung „missbräuchlich“ ist, weil sie dem Ziel oder dem Zweck der Regelungen in dem Katalog zuwiderlaufen. Diese Ausweitung begründet die Gefahr von Meldungen über rechtmäßiges, aber möglicherweise (nur) moralisch zweifelhaftes Verhalten und begründet erhebliche Missbrauchsrisiken (s. Beispiel).

Welche Hinweise sind nach HinSchG zulässig?

Hat der Hinweisgeber im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt, darf er allerdings auch nach dem HinSchG nicht in beliebiger Weise mit diesen Informationen verfahren. Vielmehr ist er lediglich befugt, sich an eine interne oder externe Meldestelle zu wenden. Die interne Meldestelle ist bei allen Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten einzurichten (§ 12 Abs. 2 HinSchG-E) und soll die Möglichkeit bieten, Meldungen über Verstöße in einem geordneten Verfahren zu behandeln. Allerdings ist die interne Meldestelle nicht verpflichtet, Meldungen von Unternehmensfremden entgegenzunehmen. In unserem Beispielsfall oben könnte der motivierte Mitarbeiter des Ingenieurbüros also möglicherweise seinen Frust nicht einmal bei dem Unternehmen loswerden.

Es besteht also auch insoweit das Risiko, dass der Meldende sich direkt an die externe Meldestelle wendet – als solche hat der Gesetzgeber eine gesonderte Abteilung des Bundesamtes für Justiz vorgesehen (§ 19 HinSchG-E). Hinsichtlich der Meldung bei interner oder externer Meldestelle hat der Hinweisgeber allerdings in jedem Fall ein Wahlrecht. Das Repressalienverbot gilt also auch, wenn eine interne Meldestelle grundsätzlich zur Entgegennahme von Meldungen Unternehmensfremder bereit ist, der Hinweisgeber aber gleichwohl direkt das Bundesamt für Justiz als externe Meldestelle kontaktiert.

§ 28 HinSchG-E regelt dann das Verfahren vor der Meldestelle. Die Meldestelle muss dem Hinweisgeber innerhalb von drei, spätestens sechs Monaten eine Rückmeldung zum Fortgang geben. (§ 28 Abs. 4 HinSchG-E). Denkbar ist es, dass die Meldestelle Auskünfte bei dem betroffenen Unternehmen sowie von allen Behörden verlangt und/oder weitere Folgemaßnahmen ergreift. Eine typische Folgemaßnahme wäre etwa die Weitergabe der Meldung an die zuständige Marktüberwachungsbehörde (was im Regelfall zu unschönen weiteren Fragen führt) oder bei uns eben an die Abwasserbehörde. Erhält der Hinweisgeber innerhalb der Frist von drei bzw. sechs Monaten keine Rückmeldung über die Folgemaßnahmen, ist er zur Offenlegung der Informationen befugt (§ 32 Abs. 1 Nr. 1b HinSchG-E), also zur Veröffentlichung z.B. durch die Presse. Die bloße Untätigkeit des Bundesamtes für Justiz gewährt dem Hinweisgeber also das Recht, potentiell höchst sensible Informationen an die Öffentlichkeit zu geben.

Hier wird es nun spannend: Da in unserem Beispielsfall eine Genehmigung vorliegt, besteht für das Bundesamt für Justiz überhaupt keine Veranlassung mehr, noch Rückmeldung zu geben. Der Sachverhalt wird vielleicht an die zuständige Umweltbehörde weitergeleitet, die aber dann auf die Genehmigung verweist. Es wäre ohne weiteres vorstellbar, dass dieses Verfahren dann bei der Behörde „einschläft“. In diesem Fall ist der motivierte Mitarbeiter dann aber eben zur Veröffentlichung in der Presse befugt.

Das HinSchG lässt Durchsetzbarkeit des NDA entfallen

Für diesen Block besonders spannend ist natürlich die Frage, wie das neue Gesetz den Konflikt zwischen Verschwiegenheitspflichten und dem Recht zur Meldung und Offenlegung von Verstößen regelt. Wenig überraschend (wenngleich in diesem Umfang schockierend) geht dies zulasten der Geheimnisse aus.

§ 5 HinSchG-E stellt klar, dass eine Meldung oder Offenlegung nicht erfolgen darf, wenn die Informationen in den Anwendungsbereich verschiedener öffentlich-rechtlicher Geheimhaltungsvorschriften fallen. Ferner ist auch die Tätigkeit der meisten Berufsgeheimnisträger einschließlich ihrer Angestellten ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen (immerhin). Eine Information, von der ein Rechtsanwalt oder die Assistenz einer Kanzlei im Rahmen der beruflichen Tätigkeit Kenntnis erlangt, darf also nicht zum Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung nach dem HinSchG-E werden. Insoweit bleiben die beruflichen Verschwiegenheitspflichten uneingeschränkt.

In § 6 Abs. 1 und Abs. 2 HinSchG-E regelt der Gesetzgeber dann, dass Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und alle Formen von Vertraulichkeitsvereinbarungen faktisch wertlos sind, sobald die Information einen „Verstoß“ im Sinne der äußerst weiten Definition des Gesetzes betrifft. Gemäß § 6 Abs. 1 des Entwurfs dürfen Geschäftsgeheimnisse an die Meldestelle weitergegeben oder offengelegt werden, § 6 Abs. 2 HinSchG-E erweitert die Meldungs- bzw. Offenlegungsbefugnis auf Informationen, die einer vertraglichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, ohne ein Geschäftsgeheimnis zu bilden. Voraussetzung für die Meldung ist lediglich, dass der Hinweisgeber hinreichenden Grund zur Annahme hat, die Weitergabe oder Offenlegung sei notwendig, um einen Verstoß aufzudecken, und die gemeldeten Informationen seien wahrheitsgemäß und unterfielen dem Anwendungsbereich des Gesetzes.

Praktische Folge

Damit stellt sich die Situation für Unternehmen wie folgt dar: Wer Drittunternehmen oder Dienstleister in seinem Unternehmen etwa zur Beratung oder für die Wartung, Überprüfung oder Verbesserung von Produktionsanlagen beschäftigt, schließt mit den Dienstleistern regelmäßig eine Vertraulichkeitsvereinbarung. Soweit die Mitarbeiter des Dienstleisters im Rahmen ihrer Tätigkeit Hinweise auf „Verstöße“ im Sinne des HinSchG auffinden, ist diese Vertraulichkeitsvereinbarung nicht durchsetzbar. Die Mitarbeiter dürfen Informationen über Verstöße melden. Der Auftraggeber darf weder Repressalien gegenüber seinem Dienstleister ausüben noch kann der Auftragnehmer selbst den Arbeitnehmer sanktionieren. Damit ist auch die Durchsetzung von Vertragsstrafeansprüchen wegen Verletzung des NDA ausgeschlossen und der Auftraggeber darf nicht einmal den Vertrag kündigen, weil dies ebenfalls eine Repressalie bildet.

Es liegt auf der Hand, dass dies – mit Billigung des Gesetzgebers – zu einem erheblichen Erpressungspotential führt. Eine rechtliche Handhabe ist schwer vorstellbar. Es dürfte kaum möglich sein, die unerwünschte Gesetzeslage, wie etwa zur Vermeidung des strengen deutschen AGB-Rechts üblich, durch die Wahl einer anderen Rechtsordnung in den Verträgen mit Dienstleistern zu umgehen. Vielmehr dürfte zumindest vorerst die einzige Lösung darin bestehen, in der Wahl seiner Vertragspartner noch sorgfältiger zu sein.