Schadensersatz in Millionenhöhe wegen Verletzung eines NDA

Der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung (Non-Disclosure Agreement, NDA) wird häufig als lästige Pflichtübung und bloße Formalität empfunden. Dass kein Beteiligter die Bedeutung eines solchen Vertrages unterschätzen sollte, zeigt eine aktuelle Entscheidung aus Spanien, in der der Beklagte wegen Verletzung einer Vertraulichkeitsvereinbarung zu Schadensersatz in Höhe von über 4,2 Mio. Euro verurteilt wurde (Audiencia Provincial de Barcelona, Urteil vom 20.05.2022, Az. 853/22; das Urteil im spanischen Original finden Sie hier).

Hintergrund: Verwertung einer Geschäftschance durch die Schwestergesellschaft

Der Fall ist schnell erzählt: Die Klägerin ist ein Beteiligungsunternehmen. Im April 2017 hatte sie davon Kenntnis erlangt, dass sich die Eigentümer eines größeren Hotelkomplexes in Nerja (Provinz Málaga) mit Verkaufsabsichten trugen. Das Objekt umfasste ein großes Grundstück mit 200 unmittelbar am Strand gelegenen Apartments. Den Hotelbetrieb hatten die Eigentümer an eine Betreibergesellschaft verpachtet. Die Einnahmen aus dem Pachtvertrag beliefen sich auf mehr als 680.000 Euro pro Jahr. Gegenstand der geplanten Transaktion waren das Grundstück mit den Apartments sowie sämtliche Anteile an der Betreibergesellschaft.

Die Klägerin erkannte eine attraktive Investitionsmöglichkeit, verfügte aber nicht über hinreichende Erfahrungen im Hotelbetrieb. Aus diesem Grund beauftragte sie einen externen Dienstleister (CBRE) mit einer umfassenden Due Diligence und mit der Suche nach einem neuen Pächter für den Fall des Erwerbs. Im Rahmen dieses Suchauftrags wandte sich der Dienstleister CBRE an die First Ona Cap S.L. (die spätere Beklagte) als potentielle Pächterin. Die Beklagte ist ein Unternehmen der „Grupo Ona“, die über mehrere Gesellschaften zahlreiche Hotels betreibt. Vor Überlassung von Informationen, die CBRE im Rahmen der Due Diligence erlangt hatte, schloss CBRE mit der Beklagten eine Vertraulichkeitsvereinbarung. Die Vereinbarung sah vor, dass die Beklagte die von CBRE überlassenen Informationen, darunter Wirtschaftspläne, Bewertungen und Informationen über die Arbeitnehmer, ausschließlich zur Vorbereitung eines Angebots für die Pacht des Hotelbetriebs nutzen durfte. Im Sommer 2017 unterbreitete die Beklagte der Klägerin zwei Angebote für die Übernahme des Hotelbetriebs als Pächterin. Zum Vertragsschluss kam es nicht. Die Klägerin erwarb letztlich auch nicht das Objekt. Anfang Juli 2018 erwarb stattdessen eine andere Gesellschaft der Grupo Una sämtliche Anteile an der Betreibergesellschaft.

Es überrascht kaum, dass die Klägerin von dem Vorgang nicht erfreut ist und die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Interessant ist hier der Umstand, dass die Klägerin aus abgetretenem Recht der CBRE klagt, die das NDA mit der Beklagten abgeschlossen hatte (Rz. 32). Die Verteidigung der Beklagten beruht, soweit ersichtlich, im Wesentlichen auf formalen Einwänden und konzentriert sich auf die Frage, welche der Gruppengesellschaften der Geschäftsführer bei Unterzeichnung des NDA vertreten habe. Sie beruft sich auf dessen mangelnde Vertretungsbefugnis, sodass das NDA nicht wirksam zustande gekommen sei.

Das Gericht ist über die „zutiefst missbräuchlichen“ und „kindischen“ Argumente der Beklagten wenig amüsiert (Rz. 16). Es prüft, ob die Wirtschaftspläne und weiteren Informationen ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des spanischen Gesetzes über Unternehmensgeheimnisse (Ley de Secretos Empresariales, LSE) bilden und stellt fest:

  • Die Informationen waren in den Kreisen der Hotelbetreiber, die üblicherweise mit diesen Informationen umgehen, weder allgemein bekannt noch zugänglich. Vielmehr waren die Informationen überhaupt nicht bekannt, da sie erst durch CBRE erstellt und nur nach Abschluss eines NDA weitergegeben wurden. Dabei sei es auch unerheblich, dass die Beklagte möglicherweise einzelne Informationen wie z.B. Listen der Arbeitnehmer hätte erlangen können. Bei den besonders wichtigen Wirtschaftsplänen sei dies gerade nicht der Fall gewesen.
  • Die Informationen gaben der Beklagten die Möglichkeit, ein passgenaues eigenes Angebot zum Erwerb der Geschäftsanteile zu unterbreiten und hatten daher wirtschaftlichen Wert.
  • Die Informationen seien auch Gegenstand angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen gewesen, da sie erst nach Unterzeichnung eines ausdrücklichen und eindeutigen NDA an die Beklagte weitergegeben wurden.
  • Unerheblich sei schließlich der Umstand, dass die Zusammenstellung und Aufbereitung der Informationen, die das Geschäftsgeheimnis bilden, durch CBRE erfolgt ist. Die Ausarbeitung erfolgte im Auftrag der Klägerin, die damit auch Inhaberin des Geheimnisses ist.

Der Erwerb der Gesellschaftsanteile durch die Schwestergesellschaft der Beklagten unter Verwendung des Geschäftsgeheimnisses sei eine unlautere Verwertungshandlung, weil dieser Erwerb unter Verstoß gegen die Vertraulichkeitsvereinbarung erfolgt sei. Die Beklagte habe daher den Gewinn zu ersetzen, der der Klägerin entgangen sei, also die entgangenen Pachteinnahmen (Rz. 39). Außerdem muss die Beklagte die vergeblichen Aufwendungen für die Due Diligence und die weiteren Beratungsleistungen ersetzen. Insgesamt wird die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von knapp 4.275.000 Euro verurteilt.

Welche Schlussfolgerungen können wir ziehen?

Auch wenn die Entscheidung nicht in jeder Hinsicht in das deutsche Recht übertragbar ist, enthält sie einige wertvolle Hinweise:

1.

Die wichtigste Lektion besteht darin, dass der Abschluss eines NDA keine bloße Förmelei ist. Ein NDA ist eine einfache und kostengünstige Möglichkeit zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Gerade aus diesem Grund ist der Abschluss von Vertraulichkeitsvereinbarungen ein absoluter Minimal-Standard, wenn es um die Beurteilung von angemessenen Schutzmaßnahmen geht. Es lohnt sich, in jeder Hinsicht.

2.

Dass man als redlicher Geschäftspartner die Informationen, die man nach Abschluss eines NDA erhält, auch nur in dessen Rahmen verwenden sollte, versteht sich von selbst. Jedenfalls in krassen Fällen wie dem hier vorliegenden könnte auch ein deutscher Richter unwirsch reagieren, wenn sich die Beklagte mit dem Hinweis auf die fehlende Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers bei Unterzeichnung der Vereinbarung verteidigt.

3.

Um unschöne und riskante Diskussionen über den Anwendungsbereich des NDA zu vermeiden, muss klargestellt sein, welche Pflichten der Informationsempfänger exakt hat. Dies gilt auch und gerade hinsichtlich der Weitergabe innerhalb einer Unternehmensgruppe und für die Frage, welche konkreten natürlichen Personen wann und unter welchen Voraussetzungen welche Information erhalten.

4.

In den meisten Vertraulichkeitsvereinbarungen ist eine Abtretung von Ansprüchen ausgeschlossen, was in diesem Fall die Klägerin vor Probleme gestellt hätte. Daher sollte der Abschluss entweder direkt durch den Begünstigten erfolgen oder eine ausdrückliche Regelung für die Folge von Verstößen erfolgen (etwa in Form einer ausdrücklichen Zubilligung von Schadensersatzansprüchen zugunsten des Geschäftsherrn).

5.

In dem entschiedenen Fall hatte die Klägerin den großen Vorteil, dass der Schaden einigermaßen plausibel dargelegt werden konnte. Für die Schadensberechnung in vergleichbaren Situationen – etwa bei Vertraulichkeitsvereinbarungen im Vorfeld von M&A-Transaktionen – dürften sich ebenfalls Möglichkeiten zur Bezifferung ergeben, zumal § 287 ZPO in einem solchen Fall dem Geschädigten hilft. In den weiteren Fällen, etwa bei der Absicherung von technischen oder wissenschaftlichen Informationen, hilft nur eine Vertragsstrafenklausel.