Die rechtliche Behandlung unberechtigter Abmahnungen hängt bekanntlich davon ab, auf welche Rechtsgrundlage der Abmahner seine Ansprüche stützt: Eine schuldhafte unberechtigte Abmahnung wegen der Verletzung eines Immaterialgüterrechts begründet in der Regel einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Bei einer unberechtigten UWG-Abmahnung gilt dies nicht, wenngleich Ansprüche aus § 4 Nr. 4 UWG denkbar sind. Nach Einführung des GeschGehG stellt sich die Frage, wie unberechtigte Abmahnungen wegen einer Geheimnisverletzung, wie sie aktuell etwa im Fall Julian Reichelt bekannt geworden sind (s. dazu hier), zu behandeln sind.
Bestandsaufnahme
Seit dem Urteil des Großen Senats für Zivilsachen aus dem Jahr 2005 steht fest, dass unberechtigte Verwarnungen aus einem Schutzrecht einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB darstellen können. In dem Urteil beruft sich das Gericht auf die verfassungsrechtlich geschützte Ausschlusswirkung der Immaterialgüterrechte. Diese müsse zugunsten Dritter ausgeglichen werden, um den Rechteinhaber daran zu hindern, von ihr leichtfertig Gebrauch zu machen (BGH, B.v. 15.07.2005, Az.: GSZ 1/04 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung). Das Haftungsrisiko für die fehlerhafte Abmahnung ist also quasi ein Ausgleich für die Ausschlussfunktion des Immaterialgüterrechts. Da die Hemmschwelle für die Aussprache einer Abmahnung in der Regel deutlich niedriger ist als die für eine Klageeinreichung (insbesondere besteht kein Kostenrisiko), muss der zu Unrecht abgemahnte Unternehmer geschützt werden.
In einer zweiten Entscheidung konkretisiert der Bundesgerichtshof seine frühere Rechtsprechung, der zufolge eine unberechtigte wettbewerbsrechtliche Abmahnung nur ausnahmsweise rechtswidrig sei. Im Urteil lehnt der BGH die Zubilligung eines Unterlassungsanspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB zugunsten des unberechtigt Abgemahnten ausdrücklich ab. Er begründete dies wie folgt: „Der Gegner einer unberechtigten wettbewerbsrechtlichen Abmahnung kann diese ohne größere Risiken unbeachtet lassen, weil mit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung die mit der Schutzrechtsverwarnung typischerweise verbundenen weitreichenden Beeinträchtigungen regelmäßig nicht einhergehen.“ (BGH, U.v. 22.07.2010, Az. I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet, Rz. 69 f.).
Unberechtigte Abmahnung wegen GeschGehG-Verstoß
Solange die §§ 17-19 UWG den Know-how-Schutz regelten, war die Einordnung einer Abmahnung wegen einer vermeintlichen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen klar: Eine UWG-Abmahnung ist im Regelfall nicht rechtswidrig. Nach Einführung des GeschGehG stellt sich die Frage, ob die Annäherung des Geheimnisschutzes an das Immaterialgüterrecht eine Neubewertung fordert.
Bei historischer Betrachtung spricht einiges dafür, die ältere Sichtweise beizubehalten und weiterhin die Verwarnung wegen einer vermeintlichen Geheimnisverletzung der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung gleichzusetzen. In systematischer Hinsicht ist dies nicht der Fall. Der Bundesgerichtshof begründet seine Unterscheidung gerade unter Hinweis auf die unterschiedlichen Konsequenzen der Abmahnungen: Immaterialgüterrechte entfalten eine absolute Ausschlusswirkung, während der Schutz des Lauterkeitsrechts relativ ausgestaltet ist und neben dem Unterlassungsanspruch weniger einschneidende Sekundäransprüche bringt. Dies sei auch dem zu Unrecht Abgemahnten bekannt, sodass eine Nichtbeachtung der UWG-Abmahnung eher denkbar sei als die Nichtbeachtung einer Schutzrechtsverwarnung.
Die Bewertung berücksichtigt schon nicht, dass auch die Konsequenzen einer unberechtigten UWG-Abmahnung äußerst gravierend sein können. Schließlich ist es für den Abgemahnten unerheblich, ob er seine Produktion im Hinblick auf den Vorwurf einer Designverletzung oder wegen eines Anspruchs aus ergänzendem Leistungsschutz unterbricht. Richtig ist aber der Hinweis, dass die Annexansprüche im UWG eine sehr viel weniger effiziente Durchsetzung ermöglichen als im Immaterialgüterrecht. Gerade hier ist aber durch das GeschGehG eine sehr deutliche Verschärfung erfolgt.
Wie auch ausdrücklich von der Richtlinie klargestellt (vgl. Erwgr. 7, 30 Geschäftsgeheimnis-RL), nähert sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen dem Schutz des Immaterialgüterrechts an, was sich besonders deutlich an den Annexansprüchen zeigt: § 7 GeschGehG gewährt jetzt einen Anspruch auf Vernichtung, Herausgabe sowie Rückruf oder Entfernung aus den Vertriebswegen, der früher nur den (echten) Immaterialgüterrechten vorbehalten war. Auch die Haftung für die Nutzung von Geschäftsgeheimnissen, die in fahrlässiger Unkenntnis der Verletzungshandlung z.B. des Zulieferers erfolgen (§ 4 Abs. 3 S. 2 GeschGehG), führt zu einer deutlichen Risikoerhöhung. Das geringere Risiko, dem sich der Abgemahnte ausgesetzt sieht, kann eine unterschiedliche Behandlung einer unberechtigten Abmahnung wegen einer Schutzrechtsverletzung und einer Geheimnisverletzung daher nicht mehr rechtfertigen. Die Frage, ob der Betroffene einer Abmahnung folgt oder ihr stand hält, ist letztlich in beiden Fällen gleichermaßen wirtschaftlicher Natur und hängt (nur) von der individuellen Risikoabwägung ab.
Andererseits müssen wir natürlich sehen, dass Rechtsstreitigkeiten um Geschäftsgeheimnisse in zahlreichen Fällen nicht zu Situation führen können, in denen die Abmahnung einen erheblichen Druck erzeugt. Wenn es um die (vermeintliche) Mitnahme einer Kundenliste geht, bewirkt eine entsprechende unberechtigte Abmahnung wohl kaum einen Produktionsstopp. Die Situation wird erst heikel, wenn es um die (vermeintliche) Mitnahme von Konstruktionszeichnungen geht, weil hier eben die Beschlagnahme von Produkten droht, die unter Verwendung der Zeichnung gefertigt wurden.
Die Schwierigkeit besteht also darin, die Fälle zu unterscheiden. Die Anwendung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Rahmenrecht erlaubt aufgrund der einzelfallorientierten Interessenabwägung allerdings gerade eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Die Rechtsprechung sollte diesen flexiblen Ansatz nutzen und das Vorliegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Falle einer unberechtigten Abmahnung im Einzelfall prüfen. Anders als die bisherige kategorische Ablehnung der Anwendbarkeit des § 823 Abs. 1 BGB auf UWG-Fälle erlaubt dies, die Sachverhalte je nach Schweregrad unterschiedlich zu behandeln:
Wenn die unberechtigte Abmahnung aus der Perspektive eines besonnenen Kaufmanns keine relevanten Wirkungen auf das Unternehmen haben kann, ist ein Verstoß abzulehnen. Sofern jedoch ein vernünftig agierender, nicht überdurchschnittlich vorsichtiger Kaufmann aufgrund der Abmahnung schwerwiegende Maßnahmen wie einen Produktionsstopp o.ä. ergreift, wäre ein Verstoß anzunehmen.
Fazit
Es sprechen also einige und aus unserer Sicht die besseren Argumente dafür, die unberechtigte Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen das GeschGehG der Prüfung nach § 823 Abs. 1 BGB zu unterziehen. Ob die Gerichte eine entsprechende Neubewertung vornehmen, bleibt abzuwarten.