Der neue § 273a ZPO: Verbesserter Geheimnisschutz im Zivilprozess

Am 01.04.2025 tritt § 273a ZPO in Kraft und löst für Parteien von Zivilprozessen in gewissem Umfang das Dilemma, sich zwischen besseren Chancen auf den Prozessgewinn und der Wahrung eines Geschäftsgeheimnisses entscheiden zu müssen. Wir nehmen das Inkrafttreten des § 273a ZPO zum Anlass, den Anwendungsbereich und die teils missverständlichen Formulierungen der Vorschrift in den Blick zu nehmen.

Ausgangspunkt: Unzureichender Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess

Der Zivilprozess, jedenfalls Verhandlung und Urteilsverkündung, sind öffentlich (§ 169 GVG). Die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen mussten daher bislang häufig eine fatale Entscheidung treffen: Entweder das Geheimnis wurde in den Prozess eingebracht und damit dem Risiko ausgesetzt, allgemein bekannt zu werden oder gar vom Wettbewerber genutzt zu werden – oder man verlor den Prozess.

Einschränkungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes zugunsten des Geheimnisschutzes der Parteien gab es bisher durch Vorschriften des GVG und (viel später) durch das GeschGehG. §§ 172 Nr. 2, § 174 GVG ermöglichen es, die Öffentlichkeit zeitweise von der mündlichen Verhandlung auszuschließen. Die Vorschriften schützen aber eben nur in diesem Teil des Verfahrens und auch nicht vor der Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen durch die gegnerische Partei.

2019 verbesserte sich die Situation für Geschäftsgeheimnisträger insofern, als mit Inkrafttreten des GeschGehG bereits zu Beginn des Verfahrens auf Antrag einer Partei Informationen ganz oder teilweise durch das Gericht als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden können. Aus § 16 Abs. 2 GeschGehG folgt dann die Pflicht, Geschäftsgeheimnisse dauerhaft vertraulich zu behandeln und weder zu nutzen noch offen zu legen. Gemäß § 18 GeschGehG entfällt die Verpflichtung zur Vertraulichkeit erst durch das Offenkundigwerden des Geheimnisses oder die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts. Bei Zuwiderhandlungen können Ordnungsmittel wie Ordnungsgelder in Höhe von bis zu 100.000 Euro sowie Ordnungshaft durchgesetzt werden. Entscheidend ist jedoch, dass diese Schutzmaßnahmen nur in Verfahren angeordnet werden konnten, in denen gerade um die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gestritten wurde.

Ein vergleichbares Schutzniveau erhielten bislang nur Geschäftsgeheimnisse in Patentstreitsachen. Nach § 145a PatG können auch in diesen Verfahren sämtliche von Kläger und Beklagtem in das Verfahren eingebrachte Informationen als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden. § 145a PatG verweist insoweit auf die §§ 16 bis 20 des GeschGehG, ohne eigene Regelungen zu treffen. In diesem Bereich hatte der Gesetzgeber den Konflikt also ebenfalls schon zugunsten eines stärkeren Geheimnisschutzes gelöst. Zur Begründung anderer Ansprüche waren Inhaber von Geschäftsgeheimnissen bislang schutzlos – sie standen häufig vor der beschriebenen Entscheidung, das Geheimnis oder den Prozess zu verlieren.

Der neue § 273a ZPO: Hintergrund und Einordnung

§ 273a ZPO ist eine Vorschrift aus dem Gesetz zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland (Drucksache 20/8649 vom 06.10.2023), das den Zivilprozess vor den ordentlichen Gerichten attraktiver gestalten und der Abwanderung zu Schiedsgerichtsbarkeiten oder ausländischen Gerichten entgegenwirken soll. Die Vorschrift lautet:

Das Gericht kann auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis nach § 2 Nummer 1 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sein können; die §§ 16 bis 20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind entsprechend anzuwenden.

Die Norm ist über §§ 495, 525 und 555 ZPO auf alle zivilgerichtlichen Verfahren in allen Instanzen anwendbar. Erfasst werden Klagen in der Hauptsache und Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Voraussetzungen für verbesserten Geheimnisschutz im Zivilgericht

Das Gericht kann mit § 273a ZPO nun in jedem Zivilverfahren auf Antrag Informationen als geheimhaltungsbedürftig einstufen. Dazu müssen gemäß § 273a ZPO streitgegenständliche Informationen vorliegen, die ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG darstellen. Der Wortlaut ist mit der Vorschrift aus § 16 GeschGehG identisch. Die neue Vorschrift verzahnt somit jedes Verfahren mit den Vorschriften des GeschGehG.

Anknüpfungspunkt sind wie im GeschGehG „Informationen“, wobei auch eine einzelne Information ausreicht.

1. Geschäftsbezug

Geschäftsgeheimnisse müssen einen geschäftlichen Bezug haben. Das ist typischerweise der Fall, wenn die Information unternehmerische Absatz- oder Bezugsinteressen berührt. (Keller/Schönknecht/Glinke/Keller, 2021, GeschGehG § 2 Rn. 11). Die Information muss dabei eine Beziehung zu einem konkreten Unternehmen aufweisen. (Harte-Bavedamm/Ohly/Kalbfus/Harte-Bavedamm, 2. Auflage 2024, GeschGehG § 2 Nr. 11).

In zahlreichen Situationen dürfte der geschäftliche Bezug der Informationen fehlen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei familienrechtlichen Streitigkeiten: Wo in einem Scheidungskrieg die privaten Konten des Ehepartners versteckt sind, mag ein praktisch wichtiges und sehr wertvolles Geheimnis sein. Die Information hat aber keinen geschäftlichen Bezug.

Ferner scheint zweifehlhaft, ob Informationen über das Fehlverhalten einer Person ein Geschäftsgeheimnis bilden. Wir haben dies in unserem Eintrag zur Einordnung der Informationen in der Affäre um den (möglichen) Machtmissbrauch des ehemaligen Chef-Redakteurs des Axel-Springer-Verlags ausgeführt (hier aufrufbar). Selbst wenn es um schwerwiegende Vorgänge geht, die dem Ansehen des Unternehmens schaden, erreichen diese Informationen die Schwelle zum Geschäftsgeheimnis in der Regel nicht.

Auf den ersten Blick haben auch vertrauliche Informationen von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten und Rechtsanwälten Geheimnischarakter. Die Informationen haben aber in der Regel häufig wiederum keinen geschäftlichen Bezug. Der Sinn und Zweck des Schutzes solcher Geheimnisse besteht gerade nicht in den Erwägungen zum GeschGehG, dass gewisse Geheimnisse wirtschaftlich nutzbar und immaterialgüterähnlich zu behandeln sind. Die Rechtsordnung schützt solche Geheimhaltungsinteressen auf anderen Wegen. So kommen in solchen Fällen Zeugnisverweigerungsrechte gemäß § 383 ZPO in Betracht. Das Erfordernis des geschäftlichen Bezugs wird die Gerichte im Einzelfall vor Einordnungsfragen stellen, die auch bereits bei der direkten Anwendung des GeschGehG regelmäßig zu Unklarheiten führen.

2. Geheimnischarakter

Aus § 2 Nr. 1 GeschGehG ergeben sich zudem drei Voraussetzungen an das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses: Es ist erforderlich, dass die Information nicht in den üblichen Kreisen bekannt bzw. ohne Weiteres zugänglich ist und daher einen eigenen wirtschaftlichen Wert hat. Die Information muss zudem Gegenstand von angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen sein und der Inhaber muss ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse haben. Insbesondere der erforderliche Umfang der Maßnahmen zum Geheimnisschutz wirft regelmäßig Fragen auf. Wir haben unter anderem hier über die Maßstäbe berichtet.

3. Verfahrensbezug der Information

Schließlich erfordert § 273a ZPO, dass die Informationen „streitgegenständlich“ sind. Hier ist die neue Vorschrift missverständlich formuliert. Der Wortlaut ist mit § 16 Abs. 1 GeschGehG identisch, sodass auf den ersten Eindruck von § 273a ZPO nur solche Geheimnisse erfasst werden, die Teil des Streitgegenstands sind. Diese Auslegung der Vorschrift entspricht aber keineswegs dem Gesetzeszweck. Der Schutz des § 273a ZPO soll den Schutz durch das GeschGehG im Zivilverfahren erweitern und gerade solche Geschäftsgeheimnisse einbeziehen, die nicht von § 16 Abs. 1 GeschGehG erfasst sind. In den Anwendungsbereich fallen also alle Geheimnisse, die zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung in das Gerichtsverfahren eingeführt werden oder die sonst in irgendeiner Weise in dessen Rahmen bekannt werden. Streitgegenständlich ist daher jede verfahrensbezogene Information, wie etwa Beweismittel, die ein Geschäftsgeheimnis offenlegen. Andernfalls würde der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht ausgeweitet und die Vorschrift hätte keinerlei neuen Regelungsgehalt. Eine klarere Formulierung wäre hier wünschenswert gewesen.

Prozessuales

Antragsbefugt ist jede Partei unabhängig von ihrer Parteirolle. Auch Streithelfer können den Antrag stellen. Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ist darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Entscheidung des Gerichts ergeht durch Beschluss und in der Regel ohne Anhörung der Gegenpartei.

Eine besondere Bedeutung hat bei der Antragstellung die hinreichende Bestimmtheit der Bezeichnung des Geheimnisses. Die hinreichend bestimmte Bezeichnung oder Beschreibung des Geheimnissess führt nicht nur wegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bei Unterlassungsanträgen nach GeschGehG zu erheblichen Schwierigkeiten. Vielmehr muss das Geheimnis auch bei Anträgen nach § 273a ZPO eindeutig bezeichnet werden, weil ein Verstoß gegen die Geheimhaltungsanordnung ein Ordnungsmittel nach sich ziehen kann. Damit gelten die strafrechtlichen Anforderungen an die Klarheit des gerichtlichen Verbotes. Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte dies in jedem Einzelfall in der gebührenden Klarheit nachvollziehen.

Auf Bedenken stoßen weiterhin die unzureichende Rechtsschutzmöglichkeiten der Drittbeteiligten. Auch die Anforderungen an die Gerichte bei der Anwendung von § 273a ZPO bleiben entsprechend unklar (hierzu unser Blogeintrag von September 2023).

Erwähnenswert ist, dass das Justizstandort-Stärkungsgesetz gemäß § 37b EGZPO auch auf Verfahren anwendbar ist, die am 01.04.2025 bereits anhängig sind. Was zunächst nach einem Sofort-Schutz für Geschäftsgeheimnisse in derzeit anhängigen Verfahren klingt, wirft die Frage auf, ob denn Informationen, die bereits im prozesseinleitenden Schriftsatz zu den Parteien gelangt sind überhaupt noch geheim im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG sind. Sofern Geschäftsgeheimnisse inzwischen allgemein bekannt oder ohne erheblichen Zeit- oder Kostenaufwand für die Allgemeinheit oder einen Fachkreis zugänglich wurden, sind sie keine Geschäftsgeheimnisse mehr, sodass der Schutz über § 273a ZPO zu spät kommt.

Fazit: Erleichterte Bedingungen für den Geschäftsgeheimnisschutz im Zivilverfahren ab 01.04.2025

Die neue Regelung in § 273a ZPO schließt endlich eine praktisch höchst relevante Lücke, auch wenn die Lückenschließung sprachlich unglücklich ist. Insbesondere konkurrierende Parteien eines Zivilprozesses müssen nicht mehr um den Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse fürchten und haben mit §§ 16 ff. GeschGehG zumindest gewisse Mittel zur Durchsetzung ihrer Geheimhaltungsinteressen. Die Verfahrensführung vor den ordentlichen Gerichten wird für Unternehmen interessanter und der Justizstandort gestärkt. Für den Umgang mit Geheimnisschutz in zivilgerichtlichen Prozessen kann man daher erwarten:

  • § 273a ZPO überträgt das Schutzniveau des GeschGehG auf alle Zivilprozesse. Auslegungsfragen zum Geschäftsgeheimnisschutz werden daher nun für alle Zivilprozesse relevant.
  • kaum betroffen von der Neuregelung werden familienrechtliche Verfahren sein.
  • Besonders unter konkurrierenden Unternehmen wird die Neuregelung zur Anwendung kommen, wenn Geschäftsgeheimnisschutz nicht bereits Gegenstand eines Rechtsstreits ist. § 273a ZPO kann hierfür nun dauerhafte Verpflichtungen zur vertraulichen Behandlung begründen.